FC Chelsea: Unter Haien
Frankfurter Rundschau
Beim englischen Chaosklub FC Chelsea stimmen zwei Dinge: der sportliche Erfolg und der moralische Kompass des Trainers Thomas Tuchel
Pressekonferenzen mit dem Fußballtrainer Thomas Tuchel sind dieser Tage wie Seminare zum Thema Schlagfertigkeit. Nichts, worauf der Coach des FC Chelsea nicht eine geistreiche Antwort parat hätte, schnell gedrechselt aus Witz und Charme und Intelligenz.
So saß Tuchel nach dem 2:1-Sieg im Achtelfinalrückspiel der Champions League beim OSC Lille auf dem Podium und wurde gleich zu Beginn konfrontiert mit der Tatsache, dass Chelsea im weiteren Verlauf des Wettbewerbs kein Heimpublikum mehr gestattet ist – Folge der Sanktionen gegen den russischen Klubbesitzer, dem Oligarchen Roman Abramowitsch. „Danke, dass Sie meinen Abend ruiniert haben“, sagte Tuchel da mit verschmitztem Lächeln: „Dabei war ich so gut drauf.“ Und als er – Klassiker – gefragt wurde, auf welches Team er denn nun keinesfalls treffen wolle im Viertelfinale, konterte Tuchel: „Ich will, dass wir die Mannschaft sind, gegen die niemand spielen will.“
Thomas Tuchel, 48 Jahre alt, ist der Mann, der sagt, er würde die Profifußballer zur Not auch im Siebensitzer aus London nach Frankreich fahren, wenn der Klub sich den Flug nicht leisten könne, und er ist der Mann, dem man genau dieses Handeln tatsächlich zutraut. Die Entschlossenheit, voranzugehen und die Freude daran, in der Verantwortung zu sein in einer überaus schwierigen Situation – Tuchel strahlt sie mit jeder Faser aus.
Chelsea geht’s nicht gut. Chelsea ist ein gelähmter Fußballklub. Chelsea darf unter Abramowitsch nichts mehr verdienen, und Abramowitsch, der Chelsea nichts schlechtes will, will den Klub schnell verkaufen, was aber kompliziert ist. Seine Geld ist gesperrt. Was sagt man in so einer Situation, als Fußballtrainer, der fast nichts mehr über Fußball gefragt wird, sondern meistens über den Krieg und über den Oligarchen und über das Geld des Oligarchen, das nun weggeschlossen ist?
Anfangs, als das Undenkbare Gestalt annahm in der Ukraine, reagierte Tuchel auch ungehalten, überfordert wie jeder Mensch mit den Ereignissen, mit dem Unterschied, dass nicht jeder Mensch ständig in der Öffentlichkeit etwas sagen soll dazu. „You have to stop!“, fuhr er einen Journalisten an, als sich auch die x-te Frage auf Putins Krieg und die Auswirkungen auf Chelseas Verhältnisse bezog. Tuchel mag diese Fragen immer noch nicht, aber er versteht, dass man ihm die Fragen stellen muss, weil das eine vom anderen längst nicht mehr zu trennen ist im gewaltigen Chaos, das der FC Chelsea gerade darstellt und sogar nicht nur darstellt, sondern sehr real auch gerade ist.