Fatma Aydemir „Dschinns“: Ein Teil von gar nichts sein
Frankfurter Rundschau
Die „Kanakenseite“ und die andere: Fatma Aydemirs Roman „Dschinns“ findet einen neuen, eigenen Ton, um von Migration zu erzählen.
Fatma Aydemirs zweiter Roman „Dschinns“ ist ein Familienroman, er ist ein Gesellschaftsroman. Er erscheint in dem Jahr, in dem das Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei 51 Jahre alt wird. Dieses Abkommen hat die deutsche Gesellschaft verändert und das Leben derjenigen, die gekommen sind, bis in die zweite und dritte Generation. Das ist der Hintergrund dieses Romans.
„Dschinns“ spielt nicht in Berlin wie Aydemirs Debüt „Ellbogen“. Er spielt in Istanbul und in Rheinstadt, wohin Hüseyin Yilmaz zusammen mit seiner Frau Emine als Gastarbeiter aus der Türkei kommt, um hier in einer Metallfabrik zu arbeiten. Wer herausfinden will, wo Rheinstadt liegt, stellt schnell fest: Rheinstadt gibt es nicht. Aber es hätte diese Stadt fast gegeben. Rheinstadt sollte der Name einer Trabantenstadt von Karlsruhe sein, in der rund 30 000 Menschen in bis zu 20-stöckigen Hochhäusern leben sollten. Man kann sich vorstellen, was für eine Art von Nachbarschaft das geworden wäre. Doch dann nahm die Bevölkerung doch nicht so stark zu wie erwartet, das Projekt wurde eingestellt. All das kann man in der Karlsruher Stadtchronik nachlesen. Karlsruhe ist die Stadt, aus der die 36 Jahre alte Fatma Aydemir stammt, die das Enkelkind türkischer Gastarbeiter ist.
Man hat kaum ein paar Seiten umgeblättert, da stirbt Hüseyin. Mit 59. Die Todesursache lautet Überarbeitung, und es ist tragisch, dass der Tod ihn in dem Moment ereilt, in dem er sich zur Ruhe gesetzt hat und die Früchte seiner Arbeit genießen wollte: eine eigene Wohnung in Istanbul. Vier Zimmer, die jetzt nur noch an Erschöpfung und Tod erinnern. „Du hast deine Tage in drei Schichten gelebt, Hüseyin, hast Sonntagsdienste, Feiertagsdienste, Überstunden übernommen.“ Hüseyin steht für ein Schicksal, das auch Deutsche ereilt, das in der ersten Gastarbeiter-Generation aber sicher verbreiteter gewesen ist, auch wenn bei manchen am Ende des Arbeitslebens nicht der Tod stand, sondern ein kaputter Rücken, eine geschädigte Lunge.
„Ich arbeite hier/Ich weiß, wie ich arbeite/Die Deutschen wissen es auch/Meine Arbeit ist schwer/Meine Arbeit ist schmutzig“, schreibt die Dichterin und Gastarbeitertochter Semra Ertan in ihrem Gedicht „Mein Name ist Ausländer“. Fatma Aydemir hat es in einem Text über die Arbeitsethik ihrer Eltern und Großeltern zitiert, den sie für den von ihr mitherausgegebenen Band „Eure Heimat ist unser Albtraum“ geschrieben hat.
Hüseyin steht für diese erste Gastarbeiter-Generation. Und im Kaputtgeschuftetsein liegt eine doppelte Bitterkeit. Denn die Kluft zwischen dem geführten und dem ersehnten Leben war für die „Gäste“ tief. „Deutschland war nicht das, was du dir erhofft hattest, Hüseyin. Was du bekamst, war Einsamkeit.“