Extra-Feiertage zum Stromsparen
DW
Autofreie Sonntage in Albanien, Stromsperren im Kosovo, Schlangen vor Banken in Bosnien-Herzegowina: Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine muss sich der Balkan wirtschaftlich an eine neue Realität anpassen.
Wenn er der Inflation beim Wachsen zuzusehen möchte, muss Nebih Bushaj nur einen Spaziergang machen. Der Gemüsehändler in der Nachbarschaft schreibt jede Woche höhere Zahlen auf die Preisschilder, beim Bäcker bezahlt der Student in Tirana nun eineinhalb Mal so viel für seine Brötchen und besucht Bushaj mit dem Bus seine Eltern in Shkodra, koste das Ticket nun 400 statt 350 Lek, erzählt er. Bushajs Alltag in seinem Heimatland Albanien ist vor allem deswegen teurer geworden, weil die Kosten für den Transport in die Höhe geschossen sind. Zwischenzeitlich lag der Benzinpreis im Land bei 260 Lek pro Liter, umgerechnet mehr als zwei Euro, und war damit ähnlich hoch wie in Deutschland. Allerdings: Während in Deutschland das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf bei etwa 46.000 Dollar liegt, sind es in Albanien nur etwa 5.200 Dollar.
Schon wegen der Coronapandemie waren Energie, Waren und Lebensmittel auf dem Weltmarkt zuletzt teurer geworden, doch der Krieg in der Ukraine hat die Preise in den Ländern auf dem Balkan geradezu absurd in die Höhe schnellen lassen. Eine Belastungsprobe, nicht nur für Albanien, sondern die gesamte Balkanregion, die eine der ärmsten Gegenden in Europa ist und in der es in privaten Haushalten ohnehin wenig finanziellen Spielraum gibt. "Die derzeitige Inflation trifft ärmere Menschen in dieser Region deutlich härter, denn sie geben einen viel größeren Anteil ihres Einkommens für Essen aus", sagt Peter Sanfey, Ökonom bei der European Bank for Reconstruction and Development (EBRD). Während die Menschen in Deutschland im Schnitt nur etwa 15 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben, sind es in Albanien 41 Prozent, im Kosovo ähnlich viel, in Serbien, Montenegro und Nordmazedonien bezahlen Haushalte immerhin ein Drittel ihres Einkommens für Essen.
Der direkte Handel mit Russland und der Ukraine bei Lebensmitteln ist relativ klein, sein Wegfall wirkt sich wenig auf die wirtschaftliche Stabilität der Länder aus, schätzt Balkan-Wirtschaftsexpertin Ana Kresic von der EBRD. Aber die insgesamt hohe Inflation, die in dieser Region so viel unmittelbarer spürbar ist als anderswo, erschüttert das Gefühl von Sicherheit, weckt Erinnerungen an die 90er Jahre.
In Bosnien und Herzegowina bildeten sich im Februar lange Schlangen, weil Menschen um ihre Einlagen bei der russischen Sberbank fürchteten, die von den EU-Sanktionen getroffen wurde. Erst nachdem klar war, dass die lokalen Banken Nova Banka und ASA Banka die Geschäfte übernehmen würden und die Einlagen sicher waren, legte sich die Panik.
In Albanien schlägt der immer stärker werdende finanzielle Druck zunehmend in Wut um. Ab Mitte März protestierten täglich bis zu 30.000 Menschen. In Tirana marschierten zwei Wochen lang jeden Tag Menschen buhend und pfeifend zum Büro von Premierminister Edi Rama. Mittendrin: Nebih Bushaj. "Selbst wenn ich keine finanziellen Probleme wegen der Preiskrise hätte, wäre ich auf der Straße, denn das ist das einzig Richtige. Wir sind ein armes Land und haben keine sozialen Maßnahmen, um ärmere Familien und Gemeinschaften zu schützen", sagt der 28-Jährige. Seiner Meinung nach legt die Preiskrise offen, wie gut es einzelnen Albanern finanziell geht, während ein Viertel der Einwohner noch immer unter der Armutsgrenze lebt - und dass sozialpolitische Maßnahmen wie ein höherer Mindestlohn längst überfällig sind.