EU sucht Deckel für überkochende Energiepreise
DW
Nach dem "Doppel-Wumms" aus dem Kanzleramt zur Subventionierung von Energiepreisen legt die EU nach. Die Energieminister wollen Übergewinne kassieren. Wird das auch ein "Wumms"? Bernd Riegert aus Brüssel.
Die Energieministerinnen und -minister der 27 Mitgliedsstaaten der EU haben sich bei ihrer Sondersitzung in Brüssel auf Notfallmaßnahmen gegen galoppierende Gas- und Strompreise geeinigt, die die EU-Kommission Anfang des Monats vorgeschlagen hatte. Energiesparen, Abgaben für Energieunternehmen und Mineralölkonzerne, nationale Preisbremsen beim Erdgas, Unterstützung von klammen Haushalten und Unternehmen - das sind die Rezepte der Union im Kampf gegen die als unzumutbar empfundenen Energiepreise auf den Weltmärkten, die nach Ansicht der EU-Kommission vor allem durch das Ausbleiben russischer Energielieferungen und die Folgen des russischen Angriffskrieges angetrieben werden. "Wir stehen in einem Energiekrieg mit Russland", sagte der tschechische Energieminister Jozef Sikela als Vorsitzender der Runde.
Nein. Einen Preisdeckel für Gaslieferungen per Pipeline oder Flüssiggastanker aus dritten Ländern lehnen die EU-Kommission und 14 Mitgliedsstaaten, darunter Deutschland ab. Ein pauschaler Preisdeckel birgt das Risiko, dass die Liefermenge nach Europa sinkt, weil die USA, Norwegen oder Katar ihr Gas dann lieber zu höheren Preisen zum Beispiel nach Asien verkaufen. Außerdem, so warnte die EU-Kommissarin für Energie, Kadri Simson, könnte der innereuropäische Gashandel ohne frei auszuhandelnde Preise zum Erliegen kommen und zu massiven Versorgungslücken führen. Zudem würde ein wesentlicher Anreiz um Einsparen von Gas wegfallen, wenn der Preis auch beim hohem Verbrauch nicht stiege.
15 EU-Staaten, darunter Frankreich und Italien, fordern allerdings einen pauschalen Deckel, um das Preisniveau auf dem Weltmarkt und damit auch die Inflation zu senken. Die EU-Kommission warnt, dass ein Preisdeckel quasi die Verstaatlichung der gesamten Energieverteilung in der Union nach sich ziehen würde. Es müsste eine zentrale Behörde geschaffen werden, die den Preis festsetzt und entscheidet, welches Land wann wie viel Gas beziehen dürfte. Zu komplex und kurzfristig, für diesen Winter nicht zu leisten, lautet das Urteil der EU-Kommission und von Ökonomen der Denkfabrik "Bruegel" in Brüssel.
Ja, die EU-Kommission und die EU-Minister haben sich darauf geeinigt, dass die Preise begrenzt werden sollen, die Haushalte und Unternehmen für Gas zahlen. Das funktioniert so: Die Kunden zahlen einen festgesetzten Preis, der unter dem Preis liegt, den die Energieversorger am Markt beim Einkauf zahlen müssen. Die Differenz zahlt der Staat. Dieses Modell haben Spanien, Portugal und Griechenland teilweise schon eingeführt. Dieser nationale Preisdeckel führt aber dazu, dass Sparanreize wegfallen und auf dem EU-Binnenmarkt ungleiche Wettbewerbsbedingungen entstehen, je nachdem wie hoch die nationalen Energiepreise festgesetzt werden. Die französische Aluminiumindustrie beschwert sich bereits gegen entsprechende Wettbewerbsvorteile für die spanische Konkurrenz. Um weiter zum Sparen zu animieren, sollen in Deutschland nur 80 Prozent des Grundbedarfs subventioniert werden, erklärte Wirtschaftsminister Robert Habeck in Brüssel. Die restlichen 20 Prozent sollen zu teureren Weltmarktpreisen weitergegeben werden. Er nennt das System Preisbremse, nicht Preisdeckel.
Deutschland geht in die Vollen und will 200 Milliarden Euro an neuen Schulden aufnehmen, um die Preise zu begrenzen. Einige reichere EU-Staaten nehmen ebenfalls neue Schulden auf. Andere können sich so einen "Doppel-Wumms", wie Bundeskanzler Olaf Scholz das Schuldenpaket nennt, kaum mehr leisten, weil sie wie Griechenland, Italien oder Portugal sehr stark verschuldet sind. Spanien hat eine neue Vermögenssteuer eingeführt. Das Anliegen der ärmeren Länder, dass die EU als Ganze die Subventionen finanzieren sollte, ähnlich wie beim Hilfsfonds gegen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie, wurde von den Energieministern (noch) abgelehnt.