EU: Polen bekommt Geld trotz Mängeln im Rechtsstaat
DW
Rund 36 Milliarden Euro aus dem Corona-Aufbaufonds können nach Warschau fließen - denn Polen erfüllt neuerdings rechtsstaatliche Anforderungen. Die Entscheidung der EU-Kommission ist umstritten. Bernd Riegert berichtet.
Polens Premier Matteusz Morawiecki kann sich am Ziel wähnen. Die EU-Kommission billigte den polnischen Plan für Auszahlungen aus dem Corona-Wiederaufbaufonds im Wert von insgesamt 24 Milliarden Euro an Zuschüssen und 11,5 Milliarden an billigen Krediten. "Polen steht dieses Geld zu und wir brauchen es mehr denn je", hatte Morawiecki mit Blick auf die wirtschaftlichen Belastungen durch den russischen Angriff auf die Ukraine und die Aufnahme von Millionen Flüchtlingen in der vergangenen Woche gesagt. Die EU-Kommission bestreitet, dass die Genehmigung der Zahlungen irgendetwas mit dem Krieg in der Ukraine zu tun hätten. Nach monatelangen Verhandlungen habe, so Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Polen nun die Kriterien erfüllt, die es zurück auf den Weg der Rechtsstaatlichkeit führen.
"Unsere Zustimmung zu dem Plan ist an klare Verpflichtungen Polens bei der Unabhängigkeit der Justiz gebunden, die erfüllt werden müssen bevor irgendeine Zahlung geleistet werden kann. Ich freue mich auf die Umsetzung dieser Reformen", sagte von der Leyen nach der Sitzung der EU-Kommission in Brüssel. Sie reist am Donnerstag nach Warschau.
Das polnische Parlament stimmte vergangene Woche dafür, die Disziplinarkammer für Richter abzuschaffen und die Regeln für das Oberste Gericht zu ändern. Entlassene Richter sollen vor einem neuen Gericht auf ihre Wiedereinstellung klagen können. In Kraft getreten sind diese neuen Bestimmungen aber noch nicht. Damit sei trotzdem ein wesentliches Kriterium für die Freigabe von Finanzhilfen, die der rechtsstaatlichen Kontrolle durch die EU unterliegen, erfüllt, meint EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen. Der Corona-Aufbaufonds war von den EU-Staaten gegen polnischen Widerstand an einen sogenannten Rechtsstaatsmechanismus gekoppelt worden,
Zwei Stellvertreter von der Leyens sollen nach unbestätigten Angaben gegen die Freigabe der Mittel für Polen und damit gegen die eigene Chefin gestimmt haben - ein äußerst seltener Vorgang in der EU-Kommission. Vizepräsident Frans Timmermans und Vizepräsidentin Margrethe Vestager sollen demnach der Auffassung sein, dass Polen ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom Herbst vergangenen Jahres noch nicht ausreichend umsetzt. Der EuGH, das höchste Gericht der Union, hatte die Disziplinarkammer für polnische Richterinnen und Richter für rechtswidrig erklärt und die sofortige Auflösung sowie die Wiedereinsetzung entlassener Richterinnen und Richter verlangt.
Die nationalkonservative PiS-Regierung hatte sich einen jahrelangen Streit mit der EU-Kommission, dem Europäischen Parlament und vielen Mitgliedsstaaten über das Justizwesen geliefert, das die PiS nach ihren Wünschen umgebaut hatte. Nach dem Urteil des EuGH weigerte sich die polnische Regierung bis in den Mai hinein, die fällige Strafe für eine unterbliebene Auflösung der Disziplinarkammer zu zahlen. Insgesamt sind bislang 160 Millionen Euro an Strafen, eine Million pro Tag, aufgelaufen, teilte EU-Justizkommissar Didier Reynders kürzlich mit. Die könnten jetzt mit den Milliarden aus dem Coronafonds verrechnet werden.