Essstörungen im Sport: Wenn Leichtsein zum schweren Problem wird
DW
Norwegens Skisprungstar Maren Lundby hat die Diskussion um das bewusste Abhungern im Leistungssport befeuert. Expertinnen warnen vor der Gefahr, in eine gefährliche Essstörung abzurutschen.
"Mir wurde früher auch immer suggeriert: Die Bleistifte rennen vorne, nicht die Radiergummis", sagt Sabrina Mockenhaupt der DW. "Das klingt salopp, kann sich aber schnell im Kopf festsetzen." Die 40 Jahre alte Ex-Läuferin hat in ihrer Karriere 40 deutsche Meistertitel über die langen Distanzen gewonnen. "Ich war nie zu dünn. Vielleicht war meine Karriere deshalb auch so lang", vermutet Mockenhaupt. "Ich glaube nicht, dass viele der dünnen 20-Jährigen, die aktuell Wettkämpfe bestreiten, auch mit 35 Jahren noch Rennen laufen."
Die Diskussion um die Gefahr, im Spitzensport durch Abhungern in schwere Essstörungen abzurutschen, ist durch den norwegischen Wintersportstar Maren Lundby neu befeuert worden. Die Skisprung-Olympiasiegerin und -Weltmeisterin verzichtete Anfang Oktober überraschend auf die komplette Saison mit dem Höhepunkt der Olympischen Winterspiele 2022 in Peking.
"Ich bin einige Kilo zu schwer für das höchste Niveau. Und ich bin nicht bereit, verrückte Dinge zu tun, um daran etwas zu ändern", sagte die 27-Jährige in einem Fernseh-Interview, bei dem sie immer wieder in Tränen ausbrach. Sie wolle damit auch eine Botschaft an junge Talente senden, so Lundby: "Kompromisslose Gewichtskontrolle sollte kein Thema sein. Damit kannst du alles zerstören."
"Ich finde, sie macht es genau richtig", sagt Katrin Giel der DW. "Sie verhält sich sehr fürsorglich und gesund. Das sollte eine Strahlkraft haben." Die Professorin an der Universitätsklinik Tübingen ist Expertin für Ess- und Gewichtsstörungen - auch im Sport. "Im Spitzensport geht es um Höchstleistungen", erklärt Giel. "Leistungssportler sind gut darin, sich Dinge zu versagen, sich ein Stück weit zu quälen und Schmerzen auszuhalten. Vielleicht sogar phasenweise über ihre Grenzen gehen. Das begünstigt es, auch im Essverhalten strikt zu sein." Der Grat sei dabei sehr schmal. "Dann rutscht man vielleicht in eine Essstörung hinein. Und es ist sehr schwierig, dort wieder herauszukommen."
An der Tübinger Klinik gibt es eine RED-S-Sprechstunde für Kaderathletinnen und -athleten. RED-S steht für "Relatives Energiedefizit im Sport": Wer seinen Körper stark belastet, ihm aber zu wenig Kalorien zuführt, riskiert schwerwiegende gesundheitliche Probleme. "Wenn beispielsweise Sportlerinnen mit 20 Jahren noch nie eine Regelblutung hatten, müssen die Alarmglocken klingeln", sagt Sportmedizinerin Christine Kopp, die die Sprechstunde leitet. "Auch wenn sie eine Schilddrüsen-Unterfunktion haben, bei ihnen gehäuft Ermüdungsfrakturen auftreten, bei Depressionen und natürlich bei Untergewicht." Zu den Risikosportarten für Essstörungen zählen neben Skispringen unter anderem Turnen, Rhythmische Sportgymnastik, Wasserspringen sowie Ausdauersportarten wie Triathlon, Langstreckenlauf, Biathlon und Skilanglauf.