
Erhöhung des Mindestlohns sollte Startschuss für weitere Ampel-Reformen sein
Frankfurter Rundschau
Die Lohnuntergrenze soll im Oktober auf zwölf Euro steigen. Das ist gut so, die üblichen Einwände ändern daran nichts. Der Leitartikel.
Im Oktober also. Dann soll der gesetzliche Mindestlohn auf zwölf Euro steigen. Versprechen erfüllt; wenn denn alles gutgeht, sogar im ersten Regierungsjahr. SPD und Grüne waren mit der Erhöhung des Mindestlohns in den Wahlkampf gezogen. Dass er tatsächlich kommt, ist ein Erfolg, für den sich Bundeskanzler Olaf Scholz, sein Arbeitsminister Hubertus Heil und die Koalition feiern können. Ausruhen aber sollten sie sich darauf nicht.
Zunächst: Die Erhöhung ist richtig. Viele Menschen im reichen Deutschland können von ihrem Lohn kaum leben, obwohl sie in Vollzeit arbeiten. Viel zu lange war der Mindestlohn viel zu niedrig. Schon zu seiner Einführung 2015 – damals waren es 8,50 Euro – zeigten Studien, dass er eigentlich bei knapp elf Euro hätte liegen müssen, um wirklich zum Leben zu reichen. Das war vor sieben Jahren. Seither sind die Mieten, Lebensmittel- und Energiepreise rasant gestiegen.
Trotzdem sind die Arbeitgeberverbände von der Erhöhung wenig begeistert. Sie kritisieren eine aus ihrer Sicht grobe Verletzung der Tarifautonomie. Von „Staatslöhnen“ spricht die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), ihr Präsident Rainer Dulger droht mit dem Gang vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Der Mindestlohn dürfe nicht zum „Spielball der Politik“ werden, sagt er.
Es sind große Worte. Doch die Chancen auf juristische Erfolge sind wohl eher gering. Zwar ist die Tarifautonomie grundgesetzlich geschützt. Ein Eingriff ist aber möglich, wenn er verhältnismäßig ist. Und: Der Staat ist in der Pflicht, Beschäftigte vor unangemessen niedrigen Löhnen zu schützen. Auch damit lässt sich ein Eingriff rechtfertigen.
Es ist schon bemerkenswert: Die Auftragsbücher sind oft voll, viele Unternehmen sind verhältnismäßig gut durch die Pandemie gekommen – auch mit Hilfe des Staates, der großzügig Hilfen wie das Kurzarbeitergeld auszahlte. Den schlecht bezahlten Beschäftigten aber gönnt man die Hilfe in Form eines höheren Mindestlohns nicht, im Gegenteil: Sie sei eine Gefahr für die Wirtschaft, heißt es, ein Jobkiller.