
Englands Irrweg
Frankfurter Rundschau
Die Premier League lechzt nach immer lukrativeren Erlösmöglichkeiten. Mit dem Russland-Krieg und den Saudi-Arabien-Verfehlungen sind zwei Geberländer untragbar. Ein Kommentar.
Der englische Humor, er kann wirklich derb, deftig und teilweise verletzend sein. Wer mal erlebt hat, wie englische Fußballfans bei der WM 2010 in Südafrika die Bilder des Krieges bedienten, um sich vor dem (dann spektakulär 2:4 verlorenen) Viertelfinale auf den Intimfeind aus Germany einzuschwören, der musste schon viel Verständnis mitbringen. „Ten German Bombers“ und all solche Lieder – hört das denn auch mehr als ein halbes Jahrhundert danach nicht auf? Insofern ist der Geduldsfaden wirklich dick, aber das schützt seit jenen Tagen, in denen in der Ukraine ein fürchterlicher Krieg tobt, deren Folgen Europa, ja auch England lange beschäftigen werden, nicht davor, dass er irgendwann reißt.
Es kann nicht sein, dass Fans des FC Chelsea immer noch ihren Gönner Roman Abramowitsch besingen, einige Russland-Flaggen und Banner mit der Aufschrift „The Roman Empire“ zeigen. Und wenn sich beim Duell gegen Newcastle United die Gegenseite vereinzelt in Saudi-Arabien-Fahnen hüllt und brüllt „Wir sind reicher als ihr!“ – dann ist die Grenze überschritten. Geht’s noch?
Auch wenn die Deutschen die moralische Messlatte gerne ganz hoch legen (und dann an anderen Stellen drunter durchsausen), sollte jemand Englands Liga mal laut zurufen, dass der moralische Kompass in Vorständen und auf einigen Tribünen komplett verloren gegangen ist.
In Saudi-Arabien hat das Königshaus um den Kronprinz Mohammed bin Salman jüngst 81 Menschen enthaupten lassen. Newcastle United bezieht eine Menge Geld über einen Staatsfonds aus dem autokratischen Wüstenregime – und die Premier League, deren erstes Ansinnen seit vielen Jahren ist, die reichste und stärkste Liga der Welt zu stellen, schaut bislang hilflos zu. Nun stellen Blätter wie der „Guardian“ entgeistert fest, dass diese Partie zwischen Newcastle und Chelsea, übrigens durch ein Tor von Kai Havertz entschieden, ein „dunkler Tag“ gewesen sei.
Die Premier League lechzt seit vielen Jahren fast schon blind nach immer lukrativeren Erlösmöglichkeiten. Wer als Verein keinen Investor im Portfolio hat, läuft der Musik hinterher. Mit dem Russland-Krieg und den Saudi-Arabien-Verfehlungen sind gleich zwei spendable Geberländer untragbar geworden, von denen sich getrennt gehört, will sich die beste Liga der Welt nicht dauerhaft ihr Image ramponieren. Und es gehört auch aufgearbeitet von der Supporter-Gemeinschaft mit Ehrgefühl, warum ein Teil von ihnen offenbar von allen guten Geistern verlassen diesen Weg in die Sackgasse noch unterstützt.