Einer der gefährlichsten Verbrecher Deutschlands
Süddeutsche Zeitung
Thomas Drach, der vor 26 Jahren Jan Philipp Reemtsma entführte, steht erneut vor Gericht, wegen mehrerer Raubüberfälle auf Geldtransporter. Zu den Vorwürfen schweigt er, aber sein Auftritt spricht Bände.
"Drach ist im Haus", sagt der Gerichtssprecher am Dienstag um kurz vor zehn, als es schon längst hätte losgehen sollte. Das ist beruhigend, nur beginnen kann der Prozess in diesem Moment noch nicht. Am Morgen wurde Thomas Drach aus der JVA Ossendorf zum Kölner Justizzentrum gefahren, in einer von drei dunklen Limousinen mit Blaulicht. Auf seine Anreise im Hubschrauber hatte die Polizei dann doch verzichtet, es war ja nicht weit. Aber ein paar Straßen in der Umgebung wurden sicherheitshalber gesperrt, und auch sonst ist beim Start der Strafsache Drach manches etwas kompliziert.
Der Pulk von Reportern und ein paar weitere Zuschauer müssen zwei gründliche Kontrollen über sich ergehen lassen, ehe sie das erste Stockwerk des Landgerichts Köln erreichen. Drach hatte vor einem Vierteljahrhundert den Hamburger Mäzen und Philologen Jan Philipp Reemtsma 33 Tage lang in ein Verlies gesperrt und mehr als 30 Millionen Mark erpresst, er gilt seitdem als einer der gefährlichsten Verbrecher Deutschlands. Diesmal soll er vier Geldtransporter überfallen und zwei Menschen angeschossen haben. Weil die Gefahr besteht, dass er fliehen oder befreit werden könnte, wird das Verfahren gut bewacht.
Die wochenlange Geiselnahme des Tabakkonzern-Erben Jan Philipp Reemtsma, eines Mulitimillionärs, der in kein Raster passt und sein Vermögen ausgerechnet für die Erforschung von Gewalt einsetzt: Lesen Sie hier eine der großen Reportagen aus 75 Jahren SZ.
Plötzlich steht der Angeklagte im Saal 112, aber da sind Publikum, Berichterstatter und Gericht noch nicht bereit. SEK-Beamte führen ihn wieder hinaus. Dann, es ist bereits nach halb elf, klopft es an der Tür, hereinkommt ein kräftiger, etwas untersetzter Mann mit Halbglatze, graumelierten Schläfen und Bart, sofern man den hinter der Maske erkennen kann. Kameras klicken. Thomas Drach ist inzwischen 61 Jahre alt, nun dürften ihm weitere lange Jahre im Gefängnis bevorstehen, vielleicht kommt er gar nicht mehr frei.
Bevor die Verhandlung in dem stickigen Raum wirklich anfangen kann, verlangt Drachs mutmaßlicher Komplize W. über seinen Anwalt eine Kopfschmerztablette. W. ist Niederländer, Anfang fünfzig. Es wird unterbrochen, bis die Kopfwehtablette wirkt, dann werden mit zweistündiger Verzögerung die Personalien geprüft. Vorneweg also Thomas Drach, geboren 1960 in Köln, Deutscher, ledig, ohne festen Wohnsitz. Seine aktuelle Adresse ist seit seiner Auslieferung aus Amsterdam nach seiner Festnahme vor fast einem Jahr die Kölner Haftanstalt. Zu den Vorwürfen schweigt Drach - aber er erhebt doch die Stimme: "Ich will Strafantrag gegen die Staatsanwältin stellen, wegen Urkundenfälschung", sagt er mit rheinischem Ton, ihm missfällt offenbar die Übersetzung eines Rechtshilfeersuchens. Drach klingt kurz, als sei er der Ankläger.