"Eine Katastrophe schlechthin"
Süddeutsche Zeitung
Die Versicherungskammer will nahe dem Bonner Platz ein Karree nachverdichten. Die Bewohner sind beunruhigt: Manche Wohnungen könnten dadurch ihre Balkone verlieren - und sogar das einzige Fenster.
Anna Steffnys Wohnung ist ihre "kleine Oase". Die 73-Jährige wohnt seit 23 Jahren in einem hellen Ein-Zimmer-Apartment im zweiten Stock eines Häuserblocks an der Degenfeldstraße, mit Balkon und Blick auf einen großen, grünen Innenhof. Selbst jetzt im Winter wirkt die Aussicht heimelig, trotz kahler Baumwipfel. Vor einem Jahr erst hat sich die Rentnerin eine neue Küche für rund 5000 Euro einbauen lassen.
Doch nun fürchtet sie um ihr Zuhause. Grund ist ein Antrag auf Vorbescheid, den Steffnys Vermieterin, die Bayern Versicherung Lebensversicherung AG, vor Kurzem bei der Lokalbaukommission eingereicht hat. Die Planung des zur Versicherungskammer Bayern gehörenden Unternehmens sieht vor, das Karree zwischen Karl-Theodor-, Ansprenger-, Unertl- und Degenfeldstraße im westlichen Schwabing zu verdichten - in Form von zwei Neubauten, die zwischen den bestehenden Gebäuden eingefügt werden sollen.
Anna Steffny kann von ihrem Balkon aus auf das Grün der Bäume schauen - noch.
Auch der Bau einer weiteren Tiefgarage ist vorgesehen. Das Vorhaben ist eine bereits überarbeitete Fassung: Die erste, als durchgehende Blockrandbebauung konzipierte Version hat die Versicherung aufgrund der massiven Kritik des Westschwabinger Bezirksausschusses schon abgespeckt. Statt der ursprünglich geplanten rund 100 Wohnungen sollen nun nur noch etwas mehr als 50 und keine Kita mehr entstehen, damit wird der Innenhof in Münchens am dichtesten besiedelten Stadtbezirk nicht zusätzlich zugepflastert, und es bleiben Schneisen für Luft und Licht.
Allerdings würde einer der neuen sechsgeschossigen Flachbauten, sofern die dem Westschwabinger Bezirksausschuss vorliegende Planung zeitnah umgesetzt werden sollte, nach wie vor direkt an Steffnys Fensterfront andocken. Und damit ihrem Refugium und den gleich geschnittenen Wohnungen ihrer Nachbarn unten und oben das einzige Tageslicht nehmen. Ein Szenario, das der Bauherr zwar dementiert. Doch die Mieter machen sich gleichwohl enorme Sorgen. "Eine Katastrophe schlechthin", findet Eleonore Bermüller, die im vierten Stock wohnt. Die 86-Jährige lebt seit 60 Jahren in der Anlage, hat ihre gesamten Ersparnisse in ihr Heim investiert und alles auf Maß anfertigen lassen. Sie ist "zutiefst empört und beunruhigt" wegen des Vorhabens: "Ich habe nicht vor umzuziehen, sondern hier meinen Lebensabend in Ruhe zu verbringen, wo ich die Leute kenne und mich zu Hause fühle."