"Eine dreiste, zynische List"
Süddeutsche Zeitung
Eine uigurische Skilangläuferin entzündet die olympische Flamme, während Hunderttausende ihres Volkes in Lagern interniert sind. Der Schritt provoziert im Westen Entsetzen - das IOC findet die Idee "reizend".
Wenn man ganz genau hinhörte, bei der Eröffnungsfeier dieser XXIV. Olympischen Winterspiele am Freitag, konnte man auch ein Echo aus fernen Zeiten vernehmen. "Don't mix sports with politics!" - wagt es bloß nicht, Sport und Politik zu vermischen, so schien es durch das Pekinger Olympiastadion zu wabern. Hu Jintao, Chinas einstiger Staatspräsident, hatte dieses Bonmot in die Welt gesetzt, als sein Land vor 14 Jahren das erste Mal die Spiele veranstaltete; oft wurde es später rezitiert, von Autokraten und Funktionären. Es war und ist natürlich eine lausige Ausrede, sie lenkt davon ab, was schon 2008 Proteste hervorrief, weltweit: dass auch China den Sport eben gerade nutzte, um Missstände zu verhüllen.
Heute, 14 Jahre später, spukt Hus Geist noch immer durch die olympischen Hallen, und zugleich hat sich einiges verändert. Denn die Organisatoren in Peking schienen in den vergangenen Tagen gar nicht erst den Eindruck widerlegen zu wollen, das Politische aus ihrem Event herauszuhalten. Zunächst hatten sie einen Soldaten für den olympischen Fackellauf nominiert, der einst an einem tödlichen Zwischenfall an der indisch-chinesischen Grenze involviert war. Indien nahm das prompt zum Anlass, seine Würdenträger von der Eröffnungsfeier abzuziehen.
Die Spiele in Peking sind eröffnet, die Show weniger bombastisch als 2008 - aber am Ende entzündet tatsächlich die uigurische Langläuferin Dinigeer Yilamujiang die Flamme. Ein Akt kalkulierter Propaganda.
Dann lancierten die Gastgeber eine Geste, die als eines der politisch gefärbtesten Manöver in die Sportgeschichtsbücher eingehen dürfte - zumindest in die unzensierten Ausgaben: Dinigeer Yilamujiang, eine 20 Jahre alte Skilangläuferin, die im Skiathlon am Samstag 43. wurde, eine Uigurin aus der Region Xinjiang, sie schulterte eine der größten Gesten, die die Spiele überhaupt bereithalten: Sie entzündete das olympische Feuer, zusammen mit dem Nordischen Kombinierer Zhao Jiawen. Das alles, während Hunderttausende Uiguren in Xinjiang überwacht, in Lagern interniert und gefoltert werden. China hat das wiederholt abgestritten, der Teppich an Indizien und Belegen ist mittlerweile aber lang und dicht.
Alles ganz normal? Chinas Dinigeer Yilamujiang (Nummer 29) während des olympischen Skiathlons am Samstag, den sie als 43. beendet.