Ein zweites Sommermärchen? Eher eine schwarz-rot-goldene Jubelorgie
Frankfurter Rundschau
Die RTL-Doku „Unser Team – die Heim-EM 2024“ fasst den EM-Sommer freudig erregt als Heldenepos zusammen. Der heimliche Star ist Chefkoch „Schmausi“
Nach dem bedrückenden Vierteiler „All or nothing – die Nationalmannschaft in Katar“ war man schlauer. Die Amazon-Doku, veröffentlicht exakt eine Woche vor dem Rauswurf des damaligen Bundestrainers Hansi Flick im Spätsommer 2023, gewährte bedrückende Einblicke in das Innenleben eines Eliteteams auf dem Weg der Selbstzerstörung. Sie lieferte Bilder, die man in dieser drastischen Form als beklemmende Geschichte eines Scheiterns nicht erwartet hätte. Nur selten zuvor gewährte eine Fußballmannschaft ehrlichere, überraschendere und verstörendere Blicke durch das Schlüsselloch.
Am 11. Januar um 20.15 Uhr folgt nun zur Primetime im Free-TV die 92-minütige RTL-Dokumentation „Unser Team – die Heim-EM 2024“. Anders als bei den tiefschürfenden Folgen aus Katar mussten die Filmemacher diesmal Einfluss des Deutschen Fußball-Bundes zulassen. Eine ähnliche Vorführung wie die von Amazon Prime Video im September 2023 sollte für den Fall des Misserfolgs unbedingt vermieden werden. Viel mehr war der Plan für die aktuelle Dokumentation, an Sönke Wortmanns „Deutschland. Ein Sommermärchen“ (2006) und – in etwas weniger opulenter Optik – die DFB-Eigenproduktion „Die Mannschaft“ (2014) anzuknüpfen.
Der relative EM-Erfolg 2024 – das Erreichen des Viertelfinales mit unglücklichem Aus gegen Spanien - und ein begeistertes Publikum lieferten die Vorlage für einen Film, der wenig Überraschendes bietet, aber die Menschen vorm Fernseher noch einmal freudig erregt zurückführt in die deutsche Gefühlswelt des Sommers 2024. Motto laut Bundestrainer Julian Nagelsmann: „Jetzt gehen wir raus und zeigen der Fußballwelt, dass wir wieder da sind.“ Hat dann ja auch sehr ordentlich funktioniert.
Kritische Anmerkungen, etwa der Irrtum des Bundestrainers bei der Personalrotation vorm Spanien-Spiel, durfte niemand in der schwarz-rot-goldenen RTL-Jubelorgie erwarten. Bei der Katar-Doku 2022 wurde ersichtlich, wie überfordert Hansi Flick seinerzeit schon längst war, was umso weniger erschließen ließ, weshalb die Trennung erst ein lähmendes Dreivierteljahr später erfolgte. Das Deutschland-Heldenepos 2024 lässt ein bisschen die Frage offen, weshalb Nagelsmann ein hervorragender Bundestrainer geworden ist. Dafür sind die Einblicke in die Kabine und den Besprechungsraum dann doch zu oberflächlich.
Vielleicht war das hier wichtig: „Alles, was irgendwie negativ behaftet ist, ist mein Job“, ruft Nagelsmann vor Turnierbeginn in einer Besprechung den Spielern zu. „Euer Job ist es zu genießen. Kickt einfach! Die ganze Scheiße übernehme ich!“ Es gab dann aber gar nicht viel Scheiße, abgesehen Begleiterscheinungen einer ARD-Doku, die der Sender ein wenig reißerisch mit dem Umfrageergebnis ankündigte, jeder Fünfte wolle hierzulande mehr weiße Nationalspieler im Adlertrikot sehen. Große Aufregung nur kurz, Nagelsmann und Joshua Kimmich moderierten den Casus binnen 24 Stunden ab. Danach war, anders als in Katar, Ruhe.