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EGMR: Türkei muss Yücel Schadenersatz zahlen
DW
Knapp vier Jahre nach der Freilassung des Journalisten Deniz Yücel aus türkischer Haft hat der Menschenrechtsgerichtshof über dessen Beschwerde entschieden.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die Türkei wegen der Inhaftierung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel verurteilt. Das Vorgehen der Justiz habe die Menschenrechte Yücels auf Freiheit und Sicherheit sowie auf freie Meinungsäußerung verletzt, heißt es in der Entscheidung der Straßburger Richter. Ankara muss nun 12.300 Euro Entschädigung an den Journalisten zahlen und 1000 Euro an Verfahrenskosten erstatten. Das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig - die Prozessparteien können es innerhalb von drei Monaten anfechten.
Hintergrund ist eine Beschwerde des deutsch-türkischen Journalisten. Der "Welt"-Korrespondent war von Februar 2017 bis Februar 2018 ohne Anklageschrift im Hochsicherheitsgefängnis Silivri westlich von Istanbul inhaftiert. Der heute 48-Jährige sieht dadurch seine Menschenrechte verletzt. Konkret zielte seine Beschwerde auf die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzugs wie auch auf dessen Dauer (Artikel 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention). Weiter warf er der Türkei die Verletzung seiner Meinungsfreiheit (Artikel 10) und eine politisch motivierte Begrenzung der Rechtseinschränkungen (Artikel 18) vor.
Hinsichtlich der Verletzung des Rechts auf Freiheit verwies der EGMR darauf, dass schon das türkische Verfassungsgericht die Untersuchungshaft Yücels aufgrund fehlender stichhaltiger Gründe als unverhältnismäßig bewertet habe. Yücels Beschwerde wegen der Dauer der Freiheitsentziehung (Artikel 5 Paragraf 3) erübrigte sich damit aus Sicht des Straßburger Gerichtshofs. Auch sah das Gericht anders als Yücel im fehlenden Zugang zu Ermittlungsakten keinen Bruch der Menschenrechtskonvention (Artikel 5 Paragraf 4), da er durch die Vernehmungen hinreichende Kenntnis von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen gehabt habe.
Als unbegründet wies der EMGR ferner die Beschwerde wegen eines zu langen Verfahrens vor dem türkischen Verfassungsgericht zurück (Artikel 5 Paragraf 4). Hingegen beurteilte er die vom Verfassungsgericht gewährte Entschädigung von rund 3700 Euro als "offensichtlich unzureichend" angesichts der Umstände des Falls (Artikel 5 Paragraf 5).
Da aus Sicht des EMGR kein hinreichender Verdacht auf eine Straftat Yücels vorlag, habe die Untersuchungshaft sein Recht auf Meinungsfreiheit verletzt. Die Straßburger Richter unterstellten dieser Maßnahme eine abschreckende Wirkung mit dem Effekt, die Zivilgesellschaft in der Türkei einzuschüchtern und abweichende Stimmen verstummen zu lassen.