Drohungen im Internet: Warum der Ratschlag „Mach doch einfach mal das Handy aus“ nichts taugt
Frankfurter Rundschau
Wer im Internet beleidigt oder bedroht wird, soll die Plattformen meiden, heißt es oft. Warum hält sich dieser schlechte Rat?
Frankfurt - Wenn jemand in einer Fußgängerzone in der Innenstadt belästigt oder bedroht wird, werden die meisten sagen „Hast du Anzeige erstattet?“ und nicht „Geh doch da einfach nicht mehr hin“. Anders ist es, wenn die Beleidigung oder Bedrohung im Internet passiert ist. Dann hören Opfer den zweiten Ratschlag ziemlich oft, manchmal sogar von der Polizei. Die Comedy-Autorin Jasmina Kuhnke berichtete im Frühjahr 2021 in der taz, die Kölner Polizei habe ihr nach rassistischen Bedrohungen geraten, sich von Twitter abzumelden:
„Das ist eine Täter-Opfer-Umkehr. Sie sagen damit: Wenn du still bist, passiert dir nichts. Doch das ist nicht die Lebensrealität von Diskriminierten.“
Die Spiegel-Kolumnistin Margarete Stokowski, die ebenfalls seit vielen Jahren beleidigt und bedroht wird, nennt zwei weitere Gründe, warum der Ratschlag „Mach doch einfach mal das Handy aus“ nichts taugt: „Wenn man jemanden anzeigen will, muss man alles dokumentieren, man braucht Links zu Postings und Profilen und zusätzlich Screenshots. Das kann man nicht zusammenstellen, wenn man ‚einfach mal das Handy ausmacht‘. Und das zweite Problem: Es geht nicht weg, wenn man wegguckt. Im Zweifel kann es sogar gefährlich werden, wenn man nicht mitbekommt, dass Leute einen Angriff ankündigen oder die Wohnadresse veröffentlichen.“
Der schlechte Ratschlag ist älter als die sozialen Netzwerke. Früher bekam man statt „Dann sei halt nicht bei Twitter / Facebook / Instagram“ zu hören: „Dann sei halt nicht im Internet.“ Der Ärger, den man sich dort einhandeln konnte, galt als nicht ganz echter, irgendwie lächerlicher Ärger. Internet-Ärger sprang auch noch nicht so leicht in andere Medien über, weil Geschehnisse im Internet kaum Nachrichtenwert hatten.
Deshalb ist es heute schwierig, zu rekonstruieren, ob im Internet der 90er alle noch nett zueinander waren. Meine Erinnerung sagt „haha, nein“. Aber in Printmedien taucht das Thema „Online-Mobbing“ oder „Cyber-Bullying“, wie es damals hieß, erst ab 2000 allmählich auf, und dann fast ausschließlich im Zusammenhang mit Schulen. Um 2005 kommt das Thema „Lehrkräfte werden im Internet gemobbt“ dazu. Das heißt nicht, dass Mobbing damals nur an Schulen und Universitäten betrieben wurde. Wahrscheinlich war dort nur – für die nicht selbst Betroffenen – am sichtbarsten, dass Hass im Internet Auswirkungen auch auf „das reale Leben“ hat, und das machte das Thema printmedienfähig.