Dreißig Jahre nach der Sowjetunion
DW
Vor 30 Jahren zerfiel die UdSSR. Was denken Menschen, die damals gerade erst geboren wurden, heute darüber? Juri Rescheto suchte nach Antworten in vier ehemaligen Sowjetrepubliken.
Das Bild ging um die Welt: Drei Staatsmänner aus Russland, der Ukraine und Belarus unterschreiben den Vertrag von Minsk, ein Dokument über die Auflösung der UdSSR. Boris Jelzin, Leonid Krawtschuk und Stanislaw Schuschkewitsch stellen damit einem Staat den Totenschein aus, dessen Herz bereits früher aufhörte zu schlagen. Am letzten Tag des Jahres 1991 wird die rote Fahne über dem Kreml in Moskau eingeholt. Fast siebzig Jahre nach ihrer Geburt ist die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken offiziell tot.
Die historischen Bilder kennen junge Menschen nur aus alten Chroniken: zum Beispiel die Estin Pille Maffucci, der Russe Igor Tischkowetz, der Georgier Irakli Rusadze und der Ukrainer Sergej Sobol. Sie waren damals gerade erst geboren oder noch sehr klein. Aber sie alle haben trotzdem ein sehr persönliches Verhältnis zur untergegangenen Sowjetepoche.
"Ich bin kein Anhänger der Sowjets", stellt Igor Tischkowetz klar. "Ich bin russisch-orthodoxer Christ. Ich trauere der Sowjetepoche nicht nach. Ja, es war eine große stolze Zivilisation, aber ihre Ideen teile ich nicht."
Dass diese Lebensform zu Ende ging, findet Igor trotzdem schade. Er liebt seine Heimat, die sibirische Metropole Nowosibirsk, die auch heute noch für die sogenannten Errungenschaften des Sozialismus steht: große Industriebetriebe und Wissenschaftszentren. Doch die kommunistische Ideologie, die den Russen jahrzehntelang aufgezwungen wurde, ist Igor fremd. Seine Ideen kreisen vielmehr um ein streng konservatives Russland, dessen Stärke in Gott liege statt wie früher in Lenin. Russland sei ein konservatives Land, sagt Igor Tischkowetz, in dem Werte wie Familie, Gottesliebe und Hierarchie wichtiger seien als Demokratie und Meinungsfreiheit.
Nur die Hälfte der Bevölkerung befürwortet laut Umfragen eine Demokratie. Viele Russen wünschen sich ein straff geführtes politisches System wie einst zu Sowjetzeiten. Auch Igor Tischkowetz: "Demokratie ist eine große Fiktion. Wir Russen glauben nicht an die echte Macht des Volks. Wir halten nichts von einem demokratischen Machtübergang. Stattdessen brauchen wir einen starken Führer, an den wir glauben."