Drama in fünf Akten
Frankfurter Rundschau
In einem epischen Tennismatch ringt Alexander Zverev seinen Rivalen Jannik Sinner nach 281 Minuten nieder und erlebt einen der besten Momente seiner Karriere.
Er war in der schwülheißen Luft im Arthur-Ashe-Betonkessel zwischendrin „völlig fertig, richtig erledigt“. Er tauschte in der Open-Air-Sauna seine durchschwitzten Klamotten und die schweißgetränkten Schuhe mehrfach aus. Er kassierte zweimal nach Satzvorsprung umgehend den bitteren Ausgleich. Er musste auch noch einen durchgeknallten Fan in der Tiefe der Nacht aus dem Stadion verweisen lassen, der irre US-Open-Gast hatte in einer der exklusiven Zuschauerregionen urplötzlich „Deutschland, Deutschland über alles“ angestimmt.“
Doch in einem elektrisierenden, grellen und extrem herausfordernden Achtelfinal-Drama, dem bisher mitreißendsten US-Open-Spiel 2023, behielt Alexander Zverev irgendwie kühlen Kopf. Als vier Stunden und 41 Minuten gespielt waren, hatte er genau um 1.40 Uhr New Yorker Zeit in der großen Schlussabrechnung die Nase vorn – als triumphaler 6:4, 3:6, 6:2, 4:6, 6:3-Sieger gegen den Südtiroler Jannik Sinner, den Sechsten der Weltrangliste. Alles, was Zverev in diesem Match über zwei Tage erlebt hatte, aber auch alles, was in den letzten Monaten seiner mühsamen Comeback-Anstrengungen passiert war, verdichtete sich in dem Satz, den er noch auf dem größten Centre Court der Welt im Blitzinterview sprach: „Ich denke, ich bin zurück.“
Zurück bei den Besten der Welt. Zurück in den wichtigsten Duellen bei den Grand Slams. Zurück in der zweiten Major-Woche, wenn sich die Elite in zugespitzter Atmosphäre misst. Für diese Spiele, sagte Zverev, „lebe ich. Das liebe ich. Das war einer der besten Momente meiner Karriere.“ Vor einem Jahr noch, um diese Zeit, hatte Zverev nach seiner schweren Bänderverletzung aus dem French-Open-Halbfinale 2022 gegen Rafael Nadal einen ersten Comebackanlauf genommen, dann aber beim Training für einen Davis-Cup-Auftritt einen schweren Rückschlag erlitten. Damals habe von einem Szenario wie im Match gegen Sinner nur träumen können: „New York, das riesige Stadion, die Nachtsession.“
Und natürlich auch von einem Sieg wie diesem, der am Ende nun so aussah, als ob sich zwei taumelnde, ziemlich entkräftete Schwergewichtsboxer in der 15. Runde um die Krone streiten. „Es war ein faszinierendes Duell. Beide haben gekämpft wirklich bis zum Umfallen“, sagte TV-Experte Boris Becker, „das war jetzt ein wichtiges Erlebnis für Sascha. Er weiß, dass er ganz vorne mithalten kann.“ Der Abnutzungskampf über 281 Minuten, ein einziges Auf und Ab, eine Achterbahnfahrt mit verrückten Drehs und Wendungen, sei „Wahnsinn“ gewesen, befand Zverev: „Ich weiß jetzt, dass ich physisch da bin, wenn es nötig ist.“ Im fünften Satz, so Zverev, sei er nach dem vorübergehenden Tief genau so wie sein von Krämpfen geschüttelter Gegner wieder zu Kräften gekommen, unerklärlich wie so vieles am US-amerikanischen Feiertag, dem Labour Day, der das inoffizielle Sommerende markiert.
Sein zehntes Grand-Slam-Viertelfinale unter diesen Bedingungen erreicht zu haben, wirkte allein schon wie ein kostbar erstrittener Schatz für den 26-jährigen – ganz egal, was noch mit und für Zverev kommen mochte. Dabei steckte Zverev auch die Aufregung um den randalierenden Turnier-Gast Mitte des vierten Satzes weg, der ihn mit den Misstönen aus dem Nationalsozialismus provoziert hatte. „Er saß in einer vorderen Reihe, viele Leute hörten das. Ich musste etwas tun. Das war schon unglaublich“, so Zverev. Auf Geheiß von Schiri James Keovathong wurde der Zuschauer rasch von Ordnungskräften aus der Arena eskortiert.