Dr. Freud hat keinen Termin frei
Süddeutsche Zeitung
Salvador Dalí suchte die Nähe zur Psychoanalyse. Eine Ausstellung im Unteren Belvedere analysiert den Surrealismus aus Wiener Perspektive.
Selbst die Sachertorte, die der junge Salvador Dalí "eilig in den kurzen Zwischenräumen aß", als er sich von einem Antiquitätenhändler zum nächsten treiben ließ, als er erneut Vermeers "Malkunst" besuchte, besaß einen "leicht bitteren Geschmack". Wieder war er in Wien, wieder war er nicht vorgelassen worden beim Professor seiner Träume, bei Sigmund Freud, dessen Schriften ihm seit 1926, da war er Anfang 20, den Mut gaben, die inneren Bilder auf der Leinwand zu bannen. Wegen dieser "Farce des nie stattgefundenen Treffens" schienen ihm seine drei Wien-Reisen aber wie "Wassertropfen, denen die Reflexe fehlten, die sie zum Glitzern bringen". So beschrieb Dalí es jedenfalls in seiner Autobiografie.
Eine sehr sinnlich, ganz in tiefes Rot getauchte Ausstellung, mit der das Untere Belvedere nach eineinhalb Jahren Umbau wieder eröffnet, soll jetzt zumindest posthum den Glitzer verleihen: Seit 2014 trägt sich das Belvedere bereits mit dem Gedanken dieser Innenschau auf nur rund zehn Jahre freudianischen Frühwerks des surrealistischen Posterboys herum.
Man beauftragte damit einen externen Fachmann, der auch gute Kontakte zu privaten Leihgebern mitbrachte, den emeritierten spanischen Kunstgeschichte-Professor Jaime Brihuega Sierra. Die Geschichte, deren Bogen er mit 100 Exponaten, darunter viel Archivmaterial, aber auch 18 Dalí-Gemälden, zu spannen weiß, zieht einen nicht nur in Biografien, Kunst und Kulturgeschichte der 1920er und 1930er Jahre hinein, auch dank der gelungenen möbelhaften Präsentation von "Margula Architects". Sie hinterlässt einen sogar mit leichtem Schauer am Rücken.
Erst aber lernt man Dalís Familie kennen, den Seeigel schmausenden Patriarchen, der den Sohn, dessen älterer Bruder, dessen Mutter bereits gestorben waren, verstieß als dieser die reifere Gala Éluard kennenlernte, um mit ihr sein Leben zu verbringen. Worauf Dalí sich den Haarschopf rasierte, diesen mitsamt einer Ration geleerter Seeigel begrub, und mit seiner Göttin Madrid in Richtung Paris verließ. Dort schloss er sich den Surrealisten rund um André Breton an, denen vor seinen fäkalen Fetischfantasien wie in "Das finstere Spiel" - nach 20 Jahren in Wien erstmals wieder öffentlich zu sehen - grauste. Das alles passierte in nur einem Jahr, 1929, sicher zentral für diese Phase, in der Dalí nach von Picasso geprägten Anfängen seinen eigenen Stil, seine eigene Ikonografie, seine Methode fand, genannt die "paranoisch-kritische".
Dalí verbindet Irrationalität und Wahn mit größter Präzision, um das Bewusstsein der Betrachter auszutricksen, ihnen dermaßen viele Wahrnehmungsmöglichkeiten in einem Bild zu bieten, dass er schließlich erkennt, was er wirklich sehen "will". Die nackte Frau etwa, die Dalí grisailleartig an einen Baumstamm schmiegt. Die Elefanten, die sich aus dem Spiegelbild von Schwänen ergeben - der Maler liebt das Spiel mit dem Vexierbild. Die Bedeutung des Traums an sich, das verschlüsselt Verdrängte, das sexuelle Begehren nach den Eltern, die Reue, die Kastrationsangst, all das sind Schlüsselbegriffe zum Verständnis von Dalís Bildern, die er in vielen Titeln auch freimütig nennt.