Die Zeichnungen von Franz Kafka: Vom Schweben der Bedeutungen
Frankfurter Rundschau
Pracht war für Franz Kafka kein Kriterium, aber der Band mit seinen Zeichnungen ist trotzdem prächtig geworden – und öffnet einen Spielraum für vernünftige und verrückte Lesarten.
Sämtliche überlieferten Zeichnungen Kafkas in einem Band. Zum ersten Mal. Es ist ein prächtiges Buch geworden. Das liegt natürlich nicht an den Zeichnungen des Autors. „Pracht“ gehörte zu keinem Zeitpunkt zu dem, wonach er strebte. Die Zeichnungen wurden schon seinerzeit mit denen Paul Klees verglichen. Sie kommen daher wie Kritzeleien. Oft sind sie es auch. An Zeitungs- oder Buchränder gedrückt, in Tage- oder Notizbücher gezwängt oder als Erläuterungen mitten in einem Brief. Selbstständige Zeichnungen gibt es ab 1908 so gut wie keine mehr.
Sie wussten nicht, dass einer der berühmtesten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, dass Franz Kafka (1883–1924) in nennenswertem Umfang gezeichnet hat? Dann geht es Ihnen wie mir. Obwohl … Es gibt eine Zeichnung von ihm, die ich niemals vergessen habe. Sie zierte den Umschlag seines Romans „Der Prozess“ in einer Ausgabe des Fischer Taschenbuch Verlages. Gekauft hatte ich sie mir als Schüler in einem Schreibwarenladen in Fürth im Odenwald, der auch Reclamhefte und ein paar Taschenbücher in seinem Sortiment hatte. Ich war 15, 16 Jahre alt und lebenslänglich beeindruckt.
Die Zeichnung zeigt einen Mann, ein Strichmännchen fast, der den Kopf mit beiden auf einem Tisch ruhenden Armen in Händen hält, während er auf einem weit weggerückten Stuhl sitzt. Dass ich nicht wusste, ob er mit dem Kopf auf dem Tisch lag, oder ob der Zeichner nur zu ungeschickt gewesen war, den Abstand von Kopf und Tisch deutlich zu machen, hatte ich mir gemerkt. Den Namen des Zeichners nicht. Heute denke ich mir, es war gerade die Unklarheit, die Ambivalenz, die mich faszinierte. Das Schwebende darin.