Die "Weltmeisterschaft der Favelas" - mehr als nur ein Fußball-Turnier
DW
In Brasilien gehört die "Taca das Favelas" zu den populärsten Turnieren. In den Armenvierteln geht es neben dem Fußball um Respekt vor denen, die weniger haben, aber viel geben könnten. Auch spätere Profis spielten hier.
Die kleine Tribüne im Stadion "Realengo" in Rio de Janeiro ist voll: Trommeln, Plakate und Sprechchöre sorgen für das richtige Ambiente an diesem September-Tag im Herzen der Olympiastadt Brasiliens. Wer hierhin fährt, passiert einige vergammelte, nur halb errichtete Bushaltestationen, die schon 2016 für die Olympischen Spiele fertiggestellt werden sollten. Eines der vielen unerfüllten Versprechen des Staates, der mit Olympia eigentlich auch die Lebenssituation der Bevölkerung in den Armenvierteln verbessern wollte. Stattdessen kam die Korruption - wieder einmal. Nun aber läuft im "Realengo" die "Taca das Favelas", ein Fußballturnier für die Armenviertel in Rio de Janeiro, das es in dieser Form auch in Sao Paulo gibt. Ein "Olympia für die Armen", eine Basisbewegung des brasilianischen Fußballs, die eine ungeheure Strahlkraft entwickelt hat.
"Das ist die Weltmeisterschaft der Favelas", sagt Verteidiger Julián Henrique Lopes im Gespräch mit der DW. Wegen seiner kräftigen Statur nennen sie ihn "Hulk", wenn er für die Mannschaft der Favela "Vila Croácia" aufläuft. "Wir geben unser Leben dafür und wir vertreten unser Armenviertel", betont der 18-Jährige stolz. Das Turnier ist ungeheuer populär und erlebt nach der Pandemie-Pause in diesem Jahr seine zehnte Auflage. "Wir sind zurück" steht auf den blauen Plakaten entlang der Arena, in der es keine VIP-Logen gibt, dafür aber ehrliche Begeisterung. Einer der auffälligen Unterschiede zu einem professionellen Fußballspiel ist, dass sich die Mannschaften vor Spielbeginn komplett zum Teamfoto aufstellen, auch mit Ersatzspielern, Trainern und Betreuern. Alle gehören dazu, alle sind ein Teil des Ganzen.
In dem kleinen Stadion sind Banner angebracht, die speziell für dieses Publikum gedacht sind. Werbeagenturen, die auf Marketing für die Favelas spezialisiert sind, nutzen deshalb das Umfeld. Auch die Favela-Organisation CUFA, die das Turnier perfekt ausrichtet, zeigt hier Flagge. Das alles ist auch eine Botschaft: Es gibt in diesen vom Staat oft vernachlässigten Vierteln ein Potential, das es zu beleben und zu fördern gilt. Wenn es der Staat oder der offizielle Fußball-Verband CBF nicht tut, dann organisieren sich die Menschen eben selbst. Und sie können es offenbar besser als die Olympia- und WM-Manager, die Schulden statt Fortschritt brachten.
Elaine Pereira dos Santos, Trainerin von "Vila Croácia", sieht das im Gespräch mit der DW ähnlich: "Diese Meisterschaft auf Favela-Niveau ist eine Chance für diese jungen Leute, sie sollte es eigentlich immer geben. Das Turnier ist eine historische Errungenschaft", betont die 40-Jährige, "weil es das einzige ist, das die Favela und die Menschen aus den Armenvierteln willkommen heißt."
Und bisweilen ist der Wettbewerb auch ein wichtiger erster Schritt oder die nächste Etappe für die Talente, die es sogar in den Profifußball und bis nach Europa schaffen. Einer, der als Teenager bei einem Turnier dabei war und heute für den bulgarischen Spitzenklub Levski Sofia aufläuft, ist Ronaldo Cesar Sores dos Santos. "Ich habe zwei Auflagen der 'Taca das Favelas' gespielt. Eine, als ich sehr jung war, ich war 14 oder 15 Jahre alt", erinnert sich Ronaldo Cesar gegenüber der DW. "Die Spiele dort waren ein entspannter Moment, ein Moment, in dem alle Freunde waren." Aber sie seien sportlich auch eine harte Schule gewesen, sagt der heute 21-Jährige: "Wer schlecht spielte, flog aus der Mannschaft."