Die Stille nach dem Kuss
n-tv
Spätestens als Faber und Bönisch einander ganz nah kommen, wird klar: Hier passiert etwas Außergewöhnliches. Wie extrem das allerdings werden würde, war kaum zu ahnen. Oder doch? "Liebe mich!" endet auf schockierende Weise.
Man kennt dieses Gefühl aus Kino und TV, dieses unterschwellige Brodeln, dass das Schicksal demnächst zuschlagen könnte, gerade dann, wenn es doch eigentlich so hoffnungsvoll aussieht: Wenn der Held beim Verlassen des Hauses seinen Sohn oder seine Tochter noch einmal ganz besonders innig umarmt, ihm womöglich noch eine universelle Lebensweisheit mit auf den Weg gibt. Oder wenn sie ihm, der da verloren am Gleis steht, beim Abfahren des Zuges aus dem offenen Abteilfenster noch einmal zuwinkt, durch den Lärm hindurch, den Dampf der Räder, die drei magischen Worte zuruft, er sie womöglich nicht einmal versteht, ein paar Meter neben dem Waggon herläuft, bis er nicht mehr kann, sie winkend, mit Tränen in den Augen.
Oder wenn Kommissar und Kommissarin, die sich seit einer Dekade beharken, aneinandergeraten, streiten, sich versöhnen, flirten, sich annähern, auseinanderdriften, sich plötzlich … dann doch noch, tatsächlich, wahrhaftig, ganz ohne jede Ironie küssen. Dann überkommt einen als TV-Zuschauer tief in der Magengrube dieses Gefühl: Das kann jetzt nicht gut gehen. Tut es auch diesmal nicht und dennoch: So heftig, wie das Schicksal am Ende dieser Dortmunder "Tatort"-Folge zuschlägt, konnte es wohl auch der größte Filmexperte kaum erahnen.
Am 23. September 2012 sind Peter Faber, gespielt von Jörg Hartmann, und Martina Bönisch, gespielt von Anna Schudt, in Dortmund an den Start gegangen, "Alter Ego" war der Titel ihrer ersten gemeinsamen "Tatort"-Folge. Von Anfang an war Dampf unterm Kessel. Faber, ein zerrütteter Typ, der Frau und Tochter bei einem als Verkehrsunfall getarnten Mordanschlag verloren hatte. Bönisch, unglücklich verheiratet, mal die toughe Kommissarin, dann die wankelmütige Kollegin. Ihr Mann verlässt sie schließlich, sie wendet sich einem Callboy zu, später bändelt sie mit einem Typen von der KTU an.
Der finale Showdown im "Sommerhaus der Stars" bringt dem Siegerpaar Sam Dylan und Rafi Rachek 50.000 Euro mehr auf dem Konto ein. Doch das Finale sorgt vor allem durch Eskalationen und Handgreiflichkeiten für Gesprächsstoff. Zuschauer diskutieren: Haben wir alle Trash-TV etwa jahrelang falsch verstanden?