Die Preise der Berlinale: Acht Bären und sechs Frauen
Frankfurter Rundschau
Die Kunst weiblicher Filmschaffender rettet die Berlinale: Carla Simón erntet mit ihrem katalonischen Obstbauern-Stück „Alcarràs“.
Es ging um viel bei dieser Berlinale, vielleicht sogar um alles. Auf dem Spiel standen nicht weniger als die Weltgeltung des Festivals und seine zentrale Bedeutung im hauptstädtischen Kulturleben. Keinesfalls wollte man wie im letzten Jahr in den virtuellen Streaming-Raum ausweichen, selbst auf dem Höhepunkt der Inzidenzzahlen. Tatsächlich wurden, wie nicht anders zu erwarten, täglich Akkreditierte positiv getestet, am Anfang sprachen Mitarbeiter der Teststationen von einer niedrigen zweistelligen Zahl, doch mit jedem Tag wurden es weniger, die man nach Hause schicken musste.
Entscheidender noch als alle Debatten über die Vor- und Nachteile von online-Angeboten ist natürlich die Qualität der Auswahl. Und hier strahlten am Ende eines durchwachsenen Wettbewerbs die von der Jury erkannten Stärken – und vielleicht sogar ein neues Alleinstellungsmerkmal: Anders als in Cannes und Venedig spielen weibliche Filmschaffende hier keine Nebenrollen. Sie spielen die Hauptrollen und setzen Maßstäbe.
Von acht Bären und einer Lobenden Erwähnung gingen sechs Preise an Frauen, allen voran der Hauptpreis für die aus Barcelona stammende Regisseurin Carla Simón. Wie schon in ihrem autobiografischen Debüt „Fridas Sommer“ blickt sie mit Kinderaugen auf eine Welt, die nur auf den ersten Blick aussieht wie eine Kinderbuchidylle.
Eine Familie trägt wie in jedem Sommer die Ernte ihrer Obstplantage ein, doch das gepachtete Paradies ist dem Untergang geweiht. Selbst die Feigenbäume, die der Urgroßvater setzte, bedroht der Bagger, denn für die Eigentümer ist es einträglicher, das Land mit Sonnenkollektoren zu bepflanzen. Doch dies ist kein diskursiver Film über ökologische Obstzucht und neoliberale Agrarwirtschaft. Es ist ein berauschender Film, der in Pfirsichfarben so sinnlich von der Schönheit natürlicher Landwirtschaft schwärmt, als könnte man ihren Duft einatmen. Melancholie ist hier kein aufgesetztes Klischee, sie ist unvermeidlich.
Offensichtlich erkannte die von Hollywoodregisseur M. Night Shyamalan geleitete Jury das, was sonst oft übersehen wird: Hinter scheinbar leichten Klängen die komplexen harmonischen Strukturen herauszuhören, die erst diesen reinen Klang bedingen.