"Die Natoisierung Europas"
DW
Die NATO bietet Russland die Stirn: Als Reaktion auf den russischen Krieg in der Ukraine will das Bündnis seine Kampfkraft massiv erhöhen und hat ein neues Konzept beschlossen. Putin bekomme jetzt mehr NATO, hieß es.
Der Weg ist frei für die Aufnahme zwei neuer NATO-Mitglieder noch im Laufe des Jahres. Die Türkei hatte zuvor ihr Veto aufgehoben und die Regierungschefs in Madrid haben daraufhin die Einladung an Finnland und Schweden formell ausgesprochen. Schwedens Ministerpräsidentin Magdalena Andersson sprach von einem Sicherheitsgewinn für ihr Land wie für die NATO. US-Präsident Joe Biden äußerte sich mit Blick auf die lange Neutralität des russischen Nachbarlandes Finnland und sagte: Putin wolle eine Finnlandisierung Europas, er bekomme stattdessen "eine Natoisierung Europas". Und er bekommt eine deutlich verstärkte Truppenpräsenz seitens der USA und erhöhte Einsatzbereitschaft durch die europäischen NATO-Partner.
Die Sprache im neuen strategischen Konzept der NATO ist deutlich: War in der letzten Fassung von 2010 noch vom Streben nach einer strategischen Partnerschaft mit Russland die Rede, heißt es jetzt: "Russland ist die bedeutendste und direkteste Bedrohung der Sicherheit für die Allianz sowie Frieden und Sicherheit im Euro-Atlantischen Raum." Daraus leitet sich eine politische und militärische Neuorientierung ab - vor allem für die Mitgliedsländer, die in den letzten Jahrzehnten auf ein partnerschaftliches Verhältnis mit Russland gesetzt hatten.
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärte dazu: "Putins Krieg hat die größte Sicherheitskrise seit dem Zweiten Weltkrieg geschaffen." Das führe zu einer fundamentalen Veränderung darin, wie sich die NATO zu Abschreckung und Verteidigung aufstellt: "Wir werden unsere Kampfverbände an der östlichen Flanke verstärken, unsere schnellen Eingreifkräfte auf 300.000 erhöhen, mehr Ausrüstung in Position bringen und mehr Kommandozentren."
Die Umsetzung dieser Ankündigungen muss allerdings in den Einzelheiten noch ausgearbeitet werden. Eine siebenfache Erhöhung der einsatzbereiten NATO-Truppen - insbesondere zur Verteidigung der östlichen Flanke - bedeutet eine dramatische Erhöhung der nationalen Beiträge. Präsident Joe Biden hat in dem Zusammenhang eine deutliche Verstärkung der US-Präsenz in Europa verkündet: Neben zwei weiteren Zerstörern in Spanien soll ein ständiges Hauptquartier in Polen eingerichtet sowie eine Kampftruppen-Brigade von insgesamt 5000 Soldaten in Rumänien stationiert werden. Die Präsenz von US-Truppen im Baltikum werde erhöht, zusätzliche F35 Kampfflugzeuge nach Großbritannien verlegt sowie die Luftabwehr und weitere Fähigkeiten in Deutschland und Italien verstärkt.
"Wir beweisen, dass die NATO mehr gebraucht wird als jemals zuvor", fasste Joe Biden zusammen. Damit stellt sich der US-Präsident in direkten Gegensatz zu seinem Amtsvorgänger Donald Trump, der beim NATO-Gipfel 2018 in Brüssel noch damit gedroht hatte, das Bündnis zu verlassen. Damals hatte er seine Kritik daran festgemacht, dass viele NATO-Partner nicht die zugesagten zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgeben wollten. Heute gelten die zwei Prozent als Minimum für Rüstungsausgaben. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz verspricht, die Ziele einzuhalten und die unterfinanzierte Bundeswehr einsatzfähig zu machen.