Die Nato und Russland: Aggressiv in der Defensive
Frankfurter Rundschau
Bundeskanzler Olaf Scholz reist nach Washington. Hat er Alternativen zu einer Politik der Konfrontation zwischen der Nato und Russland im Gepäck?
Frankfurt - Wieder steht uns eine Woche der Krisendiplomatie bevor. Olaf Scholz reist nach Washington, Emmanuel Macron nach Moskau und Kiew, und heftig diskutiert der ganze „Westen“: Will Wladimir Putin Krieg? Wen sollte die Nato aufnehmen und wann? Braucht die Ukraine mehr Waffen, und wenn ja, welche – „nicht tödliche“ vielleicht, oder „defensive“ (als ob es so etwas wirklich gäbe)?
Es geht um Krieg und Frieden – und doch erscheint die Debatte angesichts der Dimension der Nato-Russland-Krise erschreckend „klein“. Was weitgehend fehlt, sind neue Ideen für eine friedliche und stabile Koexistenz zwischen West-/Mitteleuropa und dem großen Nachbarn im Osten. Stattdessen dominiert eine aggressive Rhetorik, die bei genauer Betrachtung nur einen Zweck verfolgt: den Status quo, der sich in den vergangenen 30 Jahren herausgebildet hat, verbissen zu verteidigen. Eine Art aggressive Defensive, könnte man sagen.
Damit allerdings wird die Explosionsgefahr, die sich jetzt in der Ukraine zeigt, nicht zu bannen sein. Nicht, wenn die selbsternannte Wertegemeinschaft des Westens weiterhin ihre eigenen Fehler ignoriert. Sie hat nach dem Ende des Kalten Krieges 1989/90 geglaubt, das liberal-kapitalistische Gesellschaftsmodell werde wie von selbst einen unaufhaltsamen Siegeszug antreten. Sie, die Nato, hat sich in dieser Siegesgewissheit nach Osten ausgebreitet, ohne ernsthaft nach einer europäischen Friedensordnung in friedlicher und geregelter Koexistenz mit Russland zu suchen.
Wer so argumentiert, bekommt schnell die „Putinversteher“-Keule zu spüren. Zu Unrecht, denn der skeptische Blick auf das westliche Lager relativiert keineswegs die Verurteilung dessen, was Wladimir Putin sich zuschulden kommen lässt.
Ja, Russland provoziert und droht. Ja, Putin unterdrückt zu Hause brutal die Opposition und denkt nach außen in Einflusszonen, als hätte er je eine Chance, „seine“ Sowjetunion wieder auferstehen zu lassen. Und ja, er hat mit der Annexion der Krim eine kalte Gleichgültigkeit gegenüber dem Völkerrecht bewiesen. Es gibt also keinen Grund, vor lauter Ärger über die Nato die russische Politik zu beschönigen nach dem Motto „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ – wie das leider auch manche in Deutschland tun, die sich für friedensbewegt halten oder für links. Aber genauso plump ist es, jede Forderung nach Korrektur und einem neuen Interessenausgleich als naiv oder gar als Russlandversteherei abzutun.