
Die Logik der Konfrontation
Frankfurter Rundschau
Unsere hoch individualistische Gesellschaft erstarrt bei vielen Diskursen in Gegensätzen – warum wir zu deren Überwindung die Kulturtechnik des Erzählens neu lernen müssen.
Corona hat keine Geschichte. Es kennt weder ein Woher, noch ein Warum. Das Virus war mit einem Tag da und brachte eine bedrückende Leerstelle mit sich. Gerade weil eine Sinnerklärung für dessen Herkunft fehlte, haben sich manche in okkulte und verschwörerische Deutungsangebote geflüchtet. Nur so vermochten sie wohl den Schock des Wirklichen, wie es sich in den Bildern von den Särgen in Bergamo manifestierte, zu verarbeiten.
Erfassen lässt sich die vermeintliche Rettung in eine Scheinwelt, wo sich offensichtlich immer mehr radikalisieren, wohl am ehesten mit der Kulturkritik des 2007 verstorbenen Poststrukturalisten und Medienkritikers Jean Baudrillard. Als an das Internet noch kaum jemand dachte, sah er in seinem Buch „Agonie des Realen“ bereits 1978 die „Ära der Simulation“ voraus. Hierbei ging es um die „Liquidierung aller Referentiale“ sowie „die Substituierung des Realen durch Zeichen des Realen“.
Was der Intellektuelle ein wenig verschwurbelt darlegt, ist die Annahme, dass die Wahrheit schwindet. Das sichtbare Dasein wird gewissermaßen von einer Inszenierung desselben verschluckt oder überblendet. Es existiert dann nur noch ein künstlicher Kosmos, der von seinen Bewohnerinnen und Bewohnern bald schon als das echte Leben erachtet wird. Die Verankerung in der Realität ist für so manche in der heterogenen Minderheit aus Coronaleugnerinnen und Coronaleugnern bzw. Impfskeptikerinnen und Impfskeptikern längst verloren gegangen.