Die Hintertür klemmt
Süddeutsche Zeitung
Der Bundestag wird vorerst nicht über die allgemeine Impfpflicht debattieren. Das liegt an der FDP und daran, dass sich unter den politischen Eliten des Landes kaum wer dazu bekennt.
Geschickt hatte sich die Ampelkoalition die perfekte politische Hintertür gebaut. Weil die FDP keinen Regierungsentwurf für eine generelle Impfpflicht mitgetragen hätte, verfielen die Koalitionäre unter ihrem erfahrenen Kanzler Olaf Scholz auf die Idee, das Vorhaben dem Parlament zu überlassen. Eine offene Abstimmung über die Impfpflicht, jeder Abgeordnete nur dem eigenen Gewissen verpflichtet und nicht etwa der Koalitionsdisziplin, der Ausweg für alle Skeptiker. Und nun das: Die Hintertür klemmt. Das Vorhaben geht weder vor noch zurück.
Am Anfang schien es noch so zu sein, als wäre der Notausgang mit einem kräftigen Ruck zu öffnen. Etwa, als Olaf Scholz noch Ende Januar demonstrativ zuversichtlich verkündete, seine Ampel werde ihm eine sichere Mehrheit bei der Abstimmung über die Gruppenanträge bescheren.
Seitdem ist die Bundesrepublik der allgemeinen Impfpflicht keinen Schritt näher gekommen, im Gegenteil. Gerade hat der Bundestag die für kommende Woche angekündigte Debatte der verschiedenen Gesetzesvorschläge für und gegen eine allgemeine Impfpflicht verschieben müssen - weil die Vorschläge noch nicht vollständig vorliegen. Das ist bitter, besonders für die Regierung.
Denn die Verzögerung liegt, nun ja, wieder an der FDP, in deren Reihen ein Antrag für eine Impfpflicht für Ältere vorbereitet wird. Natürlich streitet man bei den Liberalen ab, das Vorhaben absichtlich verzögern zu wollen. Der Antrag sei hochkompliziert, mit Beratungspflicht, Impfangebot und erst danach - vielleicht - einer verpflichtenden Impfung. Es klingt so, als sei sich impfen zu lassen eine ähnlich emotional-ethische Entscheidung wie die, abzutreiben oder Organe zu spenden. Unterm Strich aber bleibt, dass nichts vorangeht, weil der Antrag nicht fertig ist.
Derweil gerät die allgemeine Impfpflicht tiefer in ein gefährliches Fahrwasser. Weil man ja offenbar ganz gut durch die Omikron-Welle kommt, auch ohne verpflichtenden Piks, wachsen die Zweifel, ob diese Pflicht das Mittel der Wahl sein muss, um zur Normalität zurückzukehren. Umso mehr, da sich die politische Elite des Landes im größtmöglichen Chaos verliert. Von den Regierungsparteien über die Opposition bis zu den Ländern reden alle munter durcheinander. Der von Scholz ausgegebene Zeitplan - Ende Februar, Anfang März werde eine allgemeine Impfpflicht gelten - ist schon länger abgehakt. Inzwischen ist man froh, wenn es bis Ende März gelingt, die angekündigten Gesetzesentwürfe für eine Impfpflicht im Bundestag zu debattieren und abzustimmen.