
Die gefährliche Doppelmoral
Frankfurter Rundschau
Die Sportwettenbranche bewegt auch mit Hilfe der Vereine und Verbände gewaltige Summen in Deutschland. Fanorganisationen des Fußballs fordern mehr gesellschaftliche Verantwortung.
So manch einer wundert sich inzwischen über Oliver Kahn. Der Vorstandsvorsitzende des FC Bayern hat sich zu eigen gemacht, bei offiziellen Auftritten zwar viel zu reden, aber wenig zu sagen. Markige Aussagen wie früher als weltbester Torhüter mit der furchteinflößenden Mimik sind aus seinem Repertoire fast gänzlich gestrichen. Dabei ist es gar nicht so lange her, dass der „Titan“ damit kokettierte: als das Testimonial für den Wettanbieter Tipico. Zwischen 2012 und 2020 war Kahn der Werbeträger, der mit ausgestrecktem Zeigefinger den Weg zum Glücksspiel wies.
Doch mit dem zum 1. Juli 2021 in Kraft getretenen Glückspielneuregulierungsstaatsvertrags (GlüNeuStv) ist Werbung für aktive Sportler und Funktionäre untersagt. Was aber nicht heißt, dass Sportwetten-Anbieter aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden sind. Im Gegenteil: Die mediale Präsenz wirkt rund um die Fußball-Übertragungen nahezu erdrückend, die Werbespots kommen immer lauter und schriller daher. Geld dafür ist reichlich vorhanden: Neun Milliarden Euro jährlich bewegt allein die Sportwettenbranche in Deutschland. Eine astronomische Summe.
Zum Vergleich: Alle 36 Lizenzvereine der Ersten und Zweiten Bundesliga setzen zusammen rund die Hälfte um. Fast alle Klubs pflegen einen lukrativen Doppelpass: Der FC Bayern hat seine 2015 begonnene Partnerschaft eben mit Tipico bis ins Jahr 2025 fixiert ist. Konkurrent Bwin zählt mit Borussia Dortmund, 1.FC Köln, Union Berlin, Dynamo Dresden oder den FC St. Pauli äußerst populäre Marken zu seinem Portfolio. Und dann mischen auch noch Tipwin (Bayer Leverkusen, Eintracht Frankfurt), Betway (VfB Stuttgart, Hertha VSC), Unibet (Borussia Mönchengladbach, RB Leipzig) oder Interwetten (VfL Wolfsburg, TSG Hoffenheim) mit. Die meisten Anbieter nennen sich Premium-Partner, die zwei Hauptabsichten verfolgen: Sie kommen raus aus der Schmuddelecke und erreichen direkt ihre Zielgruppen. Zudem suggeriert die Werbung in Endlosschleife, dass Sportwetten fast ein Stück Fankultur seien – und wie Bier und Bratwurst dazugehören.
Selbst die Deutsche Fußball-Liga (Tipico) und der Deutsche Fußball-Bund (Bwin) kassieren Geld aus solchen Sponsoring-Verträgen. Beim DFB umfasst die seit 2019 bestehende und noch bis Jahresende laufende Vereinbarung: Bandenwerbung, Hospitality, Online- und Offlineeinbindung in die Kommunikationsmittel, Nationalmannschaft und der Wettbewerbe sowie Social-Media-Ausspielung. Der Verband betont, dass auch ein umfangreiches Engagement für Suchtprävention und Integrität eingepflegt ist.
In Deutschland sind nämlich fast eine halbe Millionen Menschen spielsüchtig oder weisen ein problematisches Glücksspielverhalten auf. Sportwetten haben daran einen bedeutenden Anteil, denn jeder fünfte Euro soll von süchtigen Spielwettenden stammen, in deren Sog bis zu 15 weitere Personen die negativen psychosozialen und finanziellen Auswirkungen spüren. Von den Minderjährigen soll etwa ein Drittel in den letzten zwölf Monaten gezockt haben. Für das Fanbündnis „Unsere Kurve“ sind die Zustände nicht länger hinnehmbar: „Von Fußballverbänden und -vereinen fordern wir einen Verzicht von Kooperationen und Sponsoring-Verträge mit Sportwetten-Anbietern. Bei noch bestehenden Verträgen fordern wir Einschränkungen bei der Sichtbarkeit von Werbung für Sportwetten.“ Die Akteure im Fußball hätten viel zu sehr den Profit im Blick.