Deutschlands Top-Ökonomen fällen vernichtendes Urteil über Tankrabatt
RTL
Was die Verbraucher an der Zapfsäule freut, sorgt bei Ökonomen für Unverständnis. In ihrer scharfen Kritik an der Maßnahme sind sie sich so einig wie selten.
Entgegen den Erwartungen hat die seit Mitternacht geltende Senkung der Energiesteuer bereits zu teils deutlich sinkenden Spritpreisen an Tankstellen geführt. Dass die Mehrheit der Tankstellen die Preise bereits kräftig gesenkt hat, könnte eine Folge der hohen öffentlichen Aufmerksamkeit und des damit einhergehenden Wettbewerbsdrucks sein. Was die Verbraucher an der Zapfsäule freut, sorgt bei Ökonomen allerdings für Unverständnis. In ihrer scharfen Kritik an der Maßnahme sind sich die Wirtschaftsfachleute so einig wie nur selten. Ein Überblick:
Der Direktor des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, hält den staatlichen Eingriff für ein falsches Instrument. "Im Sinne der Ordnungspolitik soll die Politik lediglich in den Markt eingreifen, wenn der Preisanstieg auf missbräuchliche Marktmacht zurückzuführen ist", sagte Hüther der "Augsburger Allgemeinen". Der Institutschef bemängelte die fehlende Zielgenauigkeit der Energiesteuersenkung. "Ein Tankrabatt ist weder verteilungspolitisch effektiv, da er unabhängig von der Bedürftigkeit entlastet, noch ist er unternehmens- beziehungsweise branchenpolitisch treffsicher", sagte Hüther.
Ökonom Marcel Fratzscher hält den Tankrabatt für kontraproduktiv und für eine "Umverteilung von Arm zu Reich", die den Klimaschutz konterkariert. Er werfe den Mineralölkonzernen nur noch mehr Geld in den Rachen, die diese Situation im Augenblick missbrauchen. Der Tankrabatt hilft dem Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts DIW zufolge den meisten Menschen mit geringem Einkommen in Bezug auf höhere Heizkosten und Nahrungsmittelpreise nicht, denn viele von ihnen hätten gar kein Auto. "Der Tankrabatt ist in jeder Hinsicht kontraproduktiv, er ist teuer, schädlich und unsozial", sagt Fratzscher im Deutschlandfunk.
Für Veronika Grimm, Mitglied im Sachverständigenrat, fällt der Tankrabatt völlig aus der Zeit. Auch ihrer Einschätzung nach ist die Maßnahme nicht gerecht. "Wir müssen die unteren und mittleren Einkommen entlasten. Tankrabatte entlasten Gutverdienende stärker, weil diese mehr Autos besitzen und weitere Strecken fahren", so Grimm. Ähnlich wie Fratzscher sieht auch Grimm den Tankrabatt mit Blick auf den Klimaschutz kritisch, weil er fossile Energieträger vergünstigt. "Das konterkariert den Klimaschutz und verschärft die Herausforderungen bei einem möglichen Lieferstopp von russischem Gas massiv. Wir brauchen den dämpfenden Effekt hoher Preise auf die Nachfrage, um im Falle der Knappheit fossiler Energieträger nicht vor noch größeren Herausforderungen zu stehen als ohnehin schon."
Ähnlich argumentiert auch IFO-Präsident Clemens Fuest. Im Zusammenhang mit dem Tankrabatt spricht er von einer "Umverteilung von unten nach oben". Seiner Meinung nach sollten Entlastungen nicht mit der Gießkanne, sondern gezielt erfolgen. Fuest sieht in dem Tankrabatt eine Maßnahme, die Geringverdiener außen vor lässt. "Bei Haushalten mit hohen Einkommen ist der Anteil der Ausgaben für Benzin besonders hoch, die Benzinpreissenkung ist also tendenziell eine Umverteilung von unten nach oben", sagt Fuest der "Rheinischen Post".
Jens Südekum, Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat beim Wirtschaftsministerium und Professor an der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität, hält den Tankrabatt sogar für "komplett verfehlt" und "zum Fenster herausgeschmissenes Geld". "Der Spritpreisdeckel entlastet auch die Tankrechnung von schwerreichen SUV-Fahrern", so Südekum. Das Motto müsse nun lauten, Energie einzusparen. "Dafür müssen die Menschen, wo immer möglich, das Auto stehen lassen. Hohe Benzinpreise sorgen genau dafür." Bei einer Abhängigkeit vom Auto könne der Staat punktuell helfen, sei es über den Grundfreibetrag der Einkommensteuer oder noch besser durch ein pauschales Energiegeld.
Auch die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer sieht generell das falsche politische Signal. "Die Menschen sollten lieber weniger fahren, langsamer fahren, Fahrgemeinschaften bilden", sagte Schnitzer im Bayerischen Rundfunk. "Sie sollten ausweichen auf den öffentlichen Nah- und Fernverkehr. Das alles wird jetzt durch dieses Preissignal reduziert." (ntv.de)
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