Deutschland wagt im Sommer ein Giga-Experiment
n-tv
Für nur 27 Euro können alle Bürger ab Juni drei Monate lang sämtliche Nahverkehrsmittel und Regionalbahnen nutzen. Es ist ein einmaliges Experiment, das mehr Autofahrer zum Umstieg bewegen soll. Doch der Versuch könnte nicht nur wegen eines Finanzierungsstreits nach hinten losgehen.
Rund 830 Kilometer liegen zwischen Deutschlands nördlichster Stadt Flensburg und dem Städtchen Mittenwald an der Grenze zu Österreich. Wer mag, kann diese Strecke demnächst zu den überschaubaren Kosten von 9 Euro zurücklegen - und zwar einen Monat lang, hin und her, jeden Tag. Das dauert dann zwar 18 Stunden pro Strecke und verlangt sechs Zugwechsel, weil das 9-Euro-Ticket nur für den Regional- und Nahverkehr gilt. Dennoch illustriert das Beispiel die Dimensionen dieser vorerst auf drei Monate beschränkten ÖPNV-Flatrate.
Bus und Bahn waren in Deutschland noch nie so günstig, wie sie es vom 1. Juni bis zum 31. August sein werden. So wird dieser Sommer zum Giga-Experiment, das eine viel diskutierte Frage klären soll: Scheitert eine stärkere Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, die zentraler Baustein der angepeilten Verkehrswende ist, am Preis oder doch vor allem an einem alltagstauglichen Angebot?
Ein Treppenwitz dieses Experiments lautet, dass die größte ÖPNV-Offensive seit der Wiedervereinigung ohne die Autofahrerpartei FDP nicht zustande gekommen wäre. Weil die Liberalen bei den Verhandlungen über das zweite Energiepreis-Entlastungspaket der Bundesregierung auf einer Spritpreissenkung ohne Einführung eines Tempolimits bestanden, "mussten die Grünen auch etwas für ihre Klientel bekommen", sagt einer, der dabei war. So wurde die Idee des 9-Euro-Tickets quasi über Nacht geboren. Für den Bund umsetzen muss es - der als FDP'ler auch nicht gerade enthusiastische Busnutzer - Bundesverkehrsminister Volker Wissing, mit all den organisatorischen Schwierigkeiten, die mit solchen politischen Schnellschüssen einhergehen.