
Deutschland - kein Land der Ingenieure mehr?
DW
Fachkräftemangel gehört inzwischen zur Normalität. Für den Standort Deutschland hat das fatale Folgen. Kann Zuwanderung aus dem Ausland die Lücke füllen?
Ob Energie- und Elektrotechnik, Informatik, Maschinen- und Fahrzeugtechnik, Bauingenieurwesen oder Gebäudetechnik - wer in Deutschland einen Job als Ingenieur sucht, der hat eine wachsende Auswahl. Für 100 Bewerber gab es 2021 im vierten Quartal 387 offene Stellen. Ein Jahr später waren es bereits 471. Das ist ein Plus von fast 22 Prozent.
Insgesamt wurden Ende 2022 auf dem Arbeitsmarkt für Ingenieure und Ingenieurinnen in Deutschland 170.300 offene Stellen gezählt. Es fehle an allen Ecken und Enden, der Fachkräftemangel sei prekär, warnt der Branchenverband VDI, der Verein Deutscher Ingenieure. Öffentliche Bauprojekte kämen inzwischen zum Erliegen oder können gar nicht erst gestartet werden, Digitalisierungsprojekte blieben auf der Strecke.
Ausgerechnet in Deutschland, jahrzehntelang als Land der Ingenieure gepriesen und weltweit bekannt für sein technisches Know-how? "In Deutschland haben wir in der Vergangenheit tatsächlich von unseren guten menschlichen Ressourcen gelebt, das war unsere Stärke", sagt Diplom-Ingenieur Dieter Westerkamp, der beim VDI den Bereich Technik und Gesellschaft leitet. Doch immer mehr Rentnern stehen immer weniger Studenten gegenüber. "Das Schlimme ist, die Lage wird sich nicht verbessern, denn der demografische Wandel macht sich bemerkbar."
In den ingenieurwissenschaftlichen Kernfächern ist die Zahl der Studienanfänger deutlich rückläufig. Nahmen 2016 bundesweit noch 143.400 junge Menschen ein Studium in den sogenannten MINT-Fächern, also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik auf, so waren es 2022 nur noch 125.600. "In den kommenden Jahren ist folglich mit einem deutlichen Rückgang der Absolventenzahlen zu rechnen", sagt der Volkswirt Axel Plünnecke vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln.
Bei gleichzeitig steigendem Bedarf an Ingenieuren vor allem im Bereich klimafreundlicher Technologien und Produkte. In einer Umfrage des IW sagten 43 Prozent der Unternehmen, sie würden in Zukunft mehr Ingenieure brauchen und 63 Prozent mehr IT-Experten.