Des Kanzlers Aufgabe
Frankfurter Rundschau
Die Ampel-Regierung muss kurz vor Weihnachten die Notbremse ziehen. Und in 2022 muss Olaf Scholz für den Kitt sorgen, der die Spaltung der Gesellschaft verhindert.
Kanzler Olaf Scholz sagt, Corona habe die Gesellschaft nicht gespalten. Das stimmt insofern, wenn er einen Riss durch die Mitte meint. Die gut 58 Millionen zweifach Geimpften sind die große Mehrheit. Sie lassen sich impfen und boostern und werden auch die neuen Kontaktbeschränkungen, die Bund und Länder an diesem Dienstag ausgerechnet kurz vor Weihnachten beschließen werden, wieder mittragen. Vielfach erschöpft und frustriert zwar, aber vom unbedingten Willen geleitet, dass diese Pandemie ein Ende nimmt.
Das Problem ist: Die große Mehrheit reicht nicht aus, um Corona in den Griff zu bekommen. Scholz, der mit seiner Ampel-Regierung in einer Hochphase der Inzidenzen die pandemische Lage und mit ihr die Möglichkeit eines flächendeckenden Lockdowns auslaufen ließ, braucht dafür auch die Minderheit. Die ist aber dabei, sich weiter abzuspalten. Seine eigene Koalition bietet dem Regierungschef genügend Anschauungsunterricht, wie groß das Aggressionspotenzial geworden ist.
Wolfgang Kubicki, FDP-Politiker und Bundestagsvizepräsident – ein prominenter Vertreter des Hohen Hauses, für das die Demokratie das höchste Gut ist – schwadroniert, Impfpflichtbefürworter scheine es um „Rache und Vergeltung“ an Ungeimpften zu gehen. Ihre „Freude“ an der Impfpflicht und den 2G-Regeln sei nicht mehr rational. Auch wenn man sich an Kubickis neulich offen geäußerter Freude an einem Glas Wein nach 10 Uhr erinnert, dürfte diesem Repräsentanten des Staates bewusst sein, wie viele Millionen Menschen er damit verhöhnt.