Der Ukraine-Krieg und nun? Eine Koalition der Willigen?
Frankfurter Rundschau
Ein Gespräch zwischen Anna und Andreas in Berlin im März 2022.
Es ist Donnerstag, der 3. März, 12 Uhr. Eine Frau und ein Mann. Sie sitzen in einem Büro in Berlin. Sehen sie aus dem Fenster, blicken sie auf den Pei-Bau des Deutschen Historischen Museums und auf die Kuppel des Fernsehturms am Alexanderplatz. Sie tun das oft, denn immer wieder vermeiden sie, einander anzusehen. Vor 75 Jahren wurde das Haus, in dem sie jetzt sitzen, zum „Haus der Kultur der Sowjetunion“, nach der Gründung der DDR zum „Haus der deutsch-sowjetischen Freundschaft“ ernannt.
Das Haus hatte schon damals eine lange Geschichte hinter sich. Friedrich der Große hatte 1751 seinem Kammerdiener Johann Gottfried Donner das Grundstück geschenkt. Der hatte darauf ein Gebäude errichtet, in dem er wohnte, eine Holzhandlung betrieb, einen Mieter beherbergte und Getreidevorräte hortete. 1787 verkaufte Donner das Gebäude an die königliche Finanzbehörde. Ein paar Jahre lang wohnte hier auch Freiherr vom Stein. In diesem Gebäude wurden also auch die preußischen Reformen ausgeheckt. Ab 1808 wurde das Palais der Amtssitz des preußischen Finanzministeriums.
Die beiden kennen die Geschichte des Hauses, sie wissen, dass der unweit gelegene Alexanderplatz benannt ist nach dem russischen Zaren Alexander I., der der Invasion Napoleons trotzte. Sie wissen auch, dass es der Freiherr vom Stein war, der Alexander I. bestärkte im Kampf gegen den Korsen, der sich zum Kaiser gemacht, der nachdem er fast ganz Europa sich unterworfen hatte, jetzt auch noch Russland unter französische Herrschaft bringen wollte. Er scheiterte. An Eis und Schnee, am Widerstandswillen der Russen. Dann kamen die deutschen Befreiungskriege… Anna sitzt auf einem Ledersofa. Sie blickt zum Fenster hinaus. Andreas sieht sie an. Er sieht sie gerne an. Er weiß, dass es ihm nicht zusteht, aber was soll er tun? Er redet auf sie ein.
Andreas: 24 bis 40 Millionen Russen starben im Zweiten Weltkrieg, den Deutschland gegen die Sowjetunion angezettelt hatte. Und du findest, wir sollten mal wieder Krieg führen gegen das Land. Das ist doch ungeheuerlich, was du da sagst. Diesen Toten verdanken wir die Befreiung vom Faschismus. Ihnen verdanken wir unsere Freiheit.
Anna: Es waren nicht 24 bis 40 Millionen Russen, die damals starben. Das sind die Toten der Völker der Sowjetunion. Wahrscheinlich kann uns niemand genau sagen, wie viele Ukrainer zum Beispiel darunter waren. Schon bei den Befreiungskriegen war Russland beides zugleich: Befreier und Unterdrücker. Ohne Russland keine Befreiung von Napoleon. Aber alle Hoffnungen der Befreiungskriege auf die politische Besserstellung der Bevölkerung wurden von Russland unterdrückt. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Befreiung vom sogenannten Hitlerfaschismus der Beginn der Unterwerfung eines Teils von Deutschland unter die Diktatur der Sowjetunion.