
Der einstige Stolz der Briten ist längst ein Krankheitsfall
n-tv
Sechs Tage am Stück legen Ärzte in Großbritannien ihre Arbeit nieder. Der längste Streik in der Geschichte des berühmten NHS ist nicht nur für Patienten eine Bedrohung: Sie steht für den Zerfall eines Gesundheitssystems, das einst als Erfolgsmodell galt.
Der Stolz der Briten war lange Zeit ihr kostenloses Gesundheitssystem. Sogar "stolzer als auf ihre Monarchie" sollen sie darauf gewesen sein, wie der "Economist" im vergangenen Jahr schrieb. Mittlerweile ist der Stolz der Nation, der Gesundheitsdienst NHS (National Health Service) von Problemen geplagt: Patienten müssen Monate oder gar Jahre auf eine Behandlung warten, eine Rekordzahl von 2,5 Millionen Menschen können nicht arbeiten, weil sie krank sind. Und auch das Personal leidet: Mit dem längsten zusammenhängenden Streik der 75-jährigen Geschichte des britischen Gesundheitsdienstes protestieren junge Ärzte seit Mittwoch gegen schlechte Bezahlung und eine hohe Arbeitsbelastung.
Der Streik, der sechs Tage lang gehen soll, hat für Zehntausende Briten verheerenden Folgen: Krebs-Patienten sowie andere schwerkranke Menschen müssen ihre Behandlungen verschieben und bekommen nicht die Fürsorge, die sie brauchen. Das NHS rechnet mit tausenden Terminen, die abgesagt werden müssen. Hinzu kommen 1,2 Millionen Termine, die bereits bei den neun vorherigen Streiks der vergangenen 13 Monate verschoben oder abgesagt werden mussten. Es ist bereits das zehnte Mal, dass Ärzte, Krankenschwestern und anderes Personal ihre Arbeit aus Protest gegen die Regierung niederlegen.
Grund ist in erster Linie der niedrige Stundenlohn von Assistenzärzten. Mit 15 Pfund (17,30 Euro) die Stunde liegen sie in Großbritannien nur unwesentlich über dem Mindestlohn von 9,50 Pfund (11,30 Euro). Zum Vergleich: In Deutschland verdienen Assistenzärzte in Kliniken ab dem ersten Berufsjahr etwa 31 Euro die Stunde, also fast das Doppelte. Für den aktuellen Streik geben Kritiker Gesundheitsministerin Victoria Atkin die Schuld. Sie soll den Assistenzärzten bis heute kein angemessenes Gehaltsangebot gemacht haben, so wie sie es im vergangenen Jahr versprochen hatte.