Der Agent mit dem Eispickel
Süddeutsche Zeitung
Tod eines Revolutionärs: Wie Leo Trotzki 1940 in Mexiko erst einen Mordanschlag überlebte, aber dann doch den falschen Leuten vertraute.
Zwischen Moskau und Mexiko-Stadt liegen mehr als 10 000 Kilometer, und dennoch kann sich Leo Trotzki in seinem neuen Exil keinesfalls sicher sein. Er weiß, dass sein Erzfeind Stalin nicht ruhen wird, bis auch der Letzte aus der alten Garde für immer schweigt. Trotzki gehörte mit Lenin zu den Helden der Oktoberrevolution, seine Lebensgeschichte ist eng verwoben mit der Gründung der Roten Armee und der Sowjetunion, als intellektueller, oft eigensinniger Redner, Agitator und Bestsellerautor genießt er Weltruhm - aber genau das ist sein Problem. Denn der Despot im Kreml duldet keine Abweichungen; bei den großen Schauprozessen 1936 bis 1938 in Moskau hat er die führenden Männer der kommunistischen Bewegung zu absurden Geständnissen gezwungen und einen nach dem anderen zum Tode verurteilen lassen. Nur einer ist noch nicht verstummt: Leo Trotzki.
Im Sommer 1940 lebt er mit seiner Frau Natalja und seinem Enkel Sewa in einer Villa in der Avenida Viena in Coyoacán, dem Künstlerviertel der mexikanischen Hauptstadt. Nach Stationen in der Türkei, in Frankreich und in Norwegen kann er sich hier halbwegs sicher fühlen, er steht unter dem Schutz der Regierung. Das Haus ist mit einem Wachturm und dicken Mauern versehen, im Innenhof halten die Trotzkis Kaninchen und Hühner. Sogar eine elektrische Alarmanlage gibt es. Aber was wissen die Agenten des Kreml, haben sie Zugriff auf seine Briefe, vielleicht sogar auf die Menschen in seinem engsten Umfeld? Sicherheitshalber benutzt Trotzki bei seiner Korrespondenz Pseudonyme, doch sonderlich ängstlich oder übervorsichtig ist er nicht, wie der britische Historiker Robert Service in seiner Biografie schreibt.
Dem Geheimnis auf der Spur
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Als Trotzki 1937 mit dem Schiff nach Mexiko reiste, war er noch voller Tatendrang, das Künstlerpaar Diego Rivera und Frida Kahlo bereiteten dem Revolutionär einen warmherzigen Empfang; mit Frida, der kapriziösen Malerin, hat Trotzki eine ebenso leidenschaftliche wie kurze Affäre. Doch nun wirkt er oft niedergeschlagen, der 60-Jährige sieht bereits das Ende nahen. In seinem Testament vom Frühjahr 1940 schreibt er: "Ich werde als proletarischer Revolutionär sterben, als Marxist, als dialektischer Materialist und folglich als unversöhnlicher Atheist. Mein Glaube an eine kommunistische Zukunft ist heute noch stärker als in meiner Jugend."