Demenz im Fußball: Wann ist der Zusammenprall einer zu viel?
DW
Lange Zeit wurde Demenz als Gefahr im Profifußball verdrängt. Das hat sich inzwischen geändert - zumindest im englischen Fußball, wo das Thema deutlich präsenter ist als im deutschen.
Tickt in meinem Kopf eine Zeitbombe? Das fragt sich inzwischen sicher nicht nur Andreas Luthe, Torwart des Fußball-Bundesligisten Union Berlin. Die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien, "dass ein höheres Risiko für Demenz besteht, wenn du viele Erschütterungen am Kopf hast - egal ob durch Kopfball oder Zusammenprall - lässt mich nicht kalt, weil ich schon mein ganzes Leben lang Fußball spiele", räumte der 34-Jährige im Gespräch mit der DW ein. "Und wer sagt mir, dass ich nicht in 30 oder 40 Jahren Nachteile habe?" Luthe war in diesem Jahr gleich zweimal heftig mit dem Kopf mit Gegenspielern zusammengeprallt. Beim ersten Mal hatte sich der Torwart eine Gehirnerschütterung zugezogen und war vom Platz genommen worden, beim zweiten Mal hatte er nach acht Minuten Unterbrechung weitergespielt.
Verglichen mit England wird in Deutschland noch immer relativ wenig über ein möglicherweise erhöhtes Demenzrisiko früherer Fußballprofis diskutiert - und das, obwohl es prominente Beispiele für demente Ex-Stars gibt: Torjäger-Legende Gerd Müller, der in diesem Jahr im Alter von 75 Jahren in einem Pflegeheim starb; Horst-Dieter Höttges, auch er ein Weltmeister von 1974, der mit 78 Jahren ein Pflegefall ist; der 2012 verstorbene Helmut Haller, Schütze des ersten Tors im WM-Finale 1966 in Wembley gegen England.
Fünf Spieler der englischen Weltmeisterelf von damals erkrankten an Demenz, vier von ihnen sind bereits tot. Vielleicht ist dies einer der Gründe für die Vorreiterrolle des Fußball-Mutterlands in Sachen "brain health", dem Schutz des Gehirns von Menschen, die Fußball spielen. Im Dezember haben der englische Fußballverband FA, die obersten beiden Spielklassen Premier League und EFL sowie die Spielergewerkschaft PFA gemeinsam einen Aktionsplan mit drei Schwerpunkten beschlossen: Forschung, Aufklärung, Unterstützung dementer Ex-Profis.
Unter anderem soll ein Pflege-Fonds gegründet werden, aus dem Zuschüsse für die Behandlung an Demenz erkrankter früherer Fußballer gezahlt werden sollen. "Damit ist der Job noch nicht erledigt, jetzt fängt die harte Arbeit erst richtig an", erklärte die Jeff-Astle-Stiftung. "Macht keinen Fehler, die Demenz-Krise betrifft jeden im Fußball."
Jeff Astle war einst ein für seine Kopfballstärke bekannter Profi des Traditionsvereins West Bromwich Albion. 2002 starb Astle, hochgradig dement, im Alter von nur 59 Jahren an CTE (Chronische Traumatische Enzephalopathie), auch als Boxer-Syndrom bekannt. Das ergab die Untersuchung des Gehirns nach seinem Tod. Bislang galt die Obduktion als einzige Möglichkeit, CTE nachzuweisen. Das könnte sich bald ändern. Wie im Dezember bekannt wurde, gelang US-Wissenschaftlern der Universität Boston ein Durchbruch dabei, CTE auch bei noch lebenden Patienten mittels Magnetresonanztomographie (MRT) zu diagnostizieren.