
Debatte um Amnesty-Bericht: „Typisch deutsch. Man streitet über Begriffe“
Frankfurter Rundschau
Alle Welt redet über Antisemitismus und Apartheid. Nur die palästinensische Seite nicht. Warum? Ein Gastbeitrag von Saba-Nur Cheema
Seit etwa einer Woche tobt die Diskussion über den Bericht von Amnesty International zur Lage der Palästinenser. Die NGO erhebt den Vorwurf, Israel betreibe Apartheid gegen die Palästinenser, und zwar sowohl in den besetzten Gebieten Gaza und Westjordanland als auch im Kernland.
Wie üblich stehen sich die zwei Fronten – pro-israelisch und pro-palästinensisch – gegenüber und werfen sich die großen A-Wörter an den Kopf. Für die einen ist klar: In Israel herrscht Apartheid und endlich spricht es die größte Menschenrechtsorganisation laut und deutlich aus! Für die anderen ist ebenso klar, dass der Vorwurf nicht nur falsch, sondern ein weiterer Beleg für Antisemitismus ist. Reihenweise werden Experten im Fernsehen, Rundfunk und Printmedien befragt und um Analysen gebeten – von Berlin über Tel Aviv bis Beirut melden sie sich und argumentieren für ihren Standpunkt.
Man könnte meinen, dass die Debatte pluralistisch und multiperspektivisch verläuft. Alle kommen schließlich zu Wort und können ihre Position vertreten. Aber wirklich alle? Um wen geht es eigentlich, wenn wir über den Bericht mit dem Titel „Israels Apartheid gegen die Palästinenser“ sprechen?
Anscheinend fällt es niemandem auf, dass eine zentrale Perspektive fehlt: die der Palästinenser selbst. Die Palästinenser, um deren Situation es im Bericht geht, leben im Westjordanland, im Gaza-Streifen und in Israel. Auch hierzulande leben schätzungsweise etwa eine Viertelmillion Menschen mit palästinensischen Wurzeln, die meisten von ihnen, um die 40.000 Personen, in Berlin. Hat sich niemand die Frage gestellt, was eigentlich ihre Sicht auf den Bericht ist?
Sicherlich liegt es nicht an fehlenden Schreibtalenten. Liegt es am Desinteresse der Zeitungsredaktionen, dass wir zu dem brisanten Thema keine Palästinenser hören oder lesen? Oder am Unwillen von Palästinensern, ihre Positionen öffentlich zu äußern? Vermutlich beides. Während es inzwischen in anderen Fällen Konsens ist, dass marginalisierte Gruppen selbst zu Wort kommen sollen, wenn es um ihre eigene Diskriminierung geht, scheint dies anders, wenn es um die palästinensische Perspektive geht.