
Das Glück am Haken
Frankfurter Rundschau
Wer einen Fisch fangen will, braucht Geduld. Und noch mehr als das. Viktor Funk bringt seinem Sohn das Angeln bei – oder ist es umgekehrt?
Für einen Augenblick verliere ich mich in der Zeit und in meinen Erinnerungen. An diesem Spätsommertag steht mein fünfjähriger Sohn am Auto, die kleine Angel in der Hand, die Rettungsweste angezogen, bereit, ins Boot zu klettern. Er wartet, bis ich nachkomme. Und so wie er da steht, voller kindlicher Ungeduld und Aufregung, die das Leben so lebenswert machen, da sehe ich vor meinem geistigen Auge mich selbst am See meiner Kindheit. Ich warte darauf, dass mein Vater und mein Großvater endlich kommen. Warum trödeln sie nur so lange? Wir wollen doch angeln!
Wenn Glück sich in Bildern festhalten ließe, dann wäre dieser Moment mit meinem Sohn am See so ein Glücksbild. In diesem Augenblick ist das Leben perfekt. Jetzt sind in meinen Gedanken vier Generationen meiner Familie vereint, Generationen, die nicht das Glück hatten, einander kennenzulernen, und sich doch so nah sind. Was mich mein Großvater und mein Vater gelehrt haben, das ist zu meiner Aufgabe geworden: meinem Sohn die Tradition weiterzugeben und ihn am Wasser das zu lehren, worum es so häufig im Leben geht – um Balance, um Gleichgewicht zwischen Kraft und Verstand, zwischen Hartnäckigkeit und Einsicht, zwischen Handeln und Geduld.
Manche Menschen lachen, wenn ich ihnen sage, dass man im Angeln Parallelen für alle Lebenslagen findet. Ich möchte sogar behaupten, man kann aus dem Angeln eine einzige Maxime für das gesamte Leben ableiten. Balance, das ist es, worum es geht.