Das Ende des Bataclan-Prozesses und Frankreichs heilende Wunden
Frankfurter Rundschau
Nach neun Monaten werden im Bataclan-Prozess in Paris die Urteile erwartet. Die Justiz gerät an ihre Grenzen, aber das Verfahren hat einen Zweck erfüllt: Es wurde zur nationalen Gesprächstherapie.
Einer so monströsen Tat konnte zweifellos nur ein Monsterprozess gerecht werden. Seit September 2021 wird in dem langen, eigens gebauten Gerichtssaal im alten Pariser Justizpalast debattiert, verhandelt, gestritten, gelogen und plädiert. Alles zu den Terroranschlägen vom 13. November 2015 auf das Pariser Konzertlokal Bataclan, das Stade de France und mehrere Bistroterrassen. Die furchtbare Bilanz: 130 Tote, über 400 teils Schwerverletzte und zahllose Traumatisierte. An diesem Mittwoch stehen die Urteile an – schon jetzt stellt sich die Frage: Was hat der Prozess bewirkt?
Am Anfang die Opfer. Sie erzählten den fünf professionellen Schwurrichtern, 14 Angeklagten und 1800 Nebenkläger:innen im Saal bisweilen stundenlang, was ihnen widerfahren war. Hans, ein 43-jähriger Familienvater, berichtete, wie mitten im Konzert der US-Band „Eagles of Death Metal“ Schüsse einsetzten, wie er „von etwas Heißem“ getroffen wurde und wie er auf eine Frau fiel, die schon tot war. In einer Blutlache stellte er sich selber tot, um nicht ebenfalls exekutiert zu werden.
Sechseinhalb Jahre nach dem Horror erzählten Eltern unter Tränen, wie ihre im Sterben liegende Tochter aus dem Saal des Massakers angerufen habe, um sich von ihnen zu verabschieden. Eine Frau im Rollstuhl und eine andere mit vierzehn Operationen im weggeschossenen Gesicht erzählten mit zitternder Stimme, wie es ihnen seither ergangen war. Auch andere berichteten von den Folgen, den Alpträumen, dem posttraumatischen Stress, von Depressionen, Therapien, Jobpausen, Auszeiten.
In der zweiten Prozessphase schilderten Elitepolizisten, wie sie als Erste in das Bataclan eingedrungen waren und die Geiseln befreit hatten. Notfallärzte gaben zu Protokoll, wie sie binnen Sekunden entscheiden mussten, welche der vielen Schwerverletzten sie retten konnten. Und welche nicht.
Im November sagten die Augenzeug:innen aus. Und der damalige Präsident François Hollande ließ sich von der gewieften Anwältin eines Angeklagten, Olivia Ronen, in die Enge treiben; unfreiwillig stützte er ihr Argument, die Terroristen hätten auf den Syrienkrieg reagiert, obwohl der Zeitablauf anders gewesen war. Als sich Ronen auch noch zur Behauptung verstieg, die Bataclan-Toten seien „kollaterale Opfer“ des asymmetrischen Syrienkrieges, begehrte das Publikum im Saal mit wütenden Protestrufen auf.