Brüssel droht Warschau und Budapest
Süddeutsche Zeitung
EU-Justizkommissar Reynders bekräftigt harte Linie im Streit um die Rechtsstaatlichkeit und will Strafzahlungen eintreiben. Auch die Gefahr einer Blockade von EU-Vorhaben durch Polen und Ungarn ändere daran nichts.
Die EU-Kommission droht Polens Regierung, ausstehende Zwangsgelder wegen der Nichtbeachtung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) eisern einzutreiben. "Wir werden jeden Monat einen neuen Brief schicken", sagte Justizkommissar Didier Reynders der Süddeutschen Zeitung. Vor einer Woche hatte seine Behörde eine Zahlungsaufforderung über 69 Millionen Euro nach Warschau gesendet. Das sind die bis Anfang Januar aufgelaufenen Strafgelder, die der EuGH Polen Ende Oktober aufgebrummt hat. Das Gericht verhängte ein tägliches Zwangsgeld von einer Million Euro, weil die umstrittene Disziplinarkammer für Richter nicht aufgelöst wurde. Die höhlt nach Ansicht der Kommission und des EuGH den Rechtsstaat aus. Polen überweist das Geld aber bisher nicht.
Ignoriert die nationalkonservative Regierung die Zahlungsaufforderung, wird die Kommission nach zweieinhalb Monaten die Strafen mit EU-Fördermitteln für Polen verrechnen. Für die täglichen Zwangsgelder seit Anfang Januar muss die Behörde dann weitere Mahnschreiben verschicken. Bei einem anderen Fall, in dem Warschau Zwangsgelder des EuGH nicht begleicht, hat die Kommission solch eine Verrechnung bereits anlaufen lassen - eine Premiere in der Geschichte der EU. Reynders betont jedoch, das Ziel sei nicht, Geld zu bekommen: "Das Ziel ist, dass sich die Politik der Regierung wirklich ändert."
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Zudem weigert sich die Kommission, die ersten Tranchen aus dem Corona-Hilfstopf an das Land freizugeben. Polen kann sich auf 24 Milliarden Euro an nicht rückzahlbaren Zuschüssen freuen, doch die Behörde fordert Zusicherungen, was die Unabhängigkeit der Justiz angeht. Reynders berichtet von "vielen Treffen und Gesprächen", doch bislang gibt es keine Einigung.
Gleiches gilt für die Verhandlungen der Kommission mit Ungarn, wo laut Reynders wie in Polen "systemische Probleme" vorliegen. Deshalb wurde auch noch nicht begonnen, die für Budapest vorgesehenen 7,2 Milliarden Euro auszuzahlen. Gegen beide Länder laufen sogenannte Artikel-7-Verfahren wegen Verstößen gegen grundlegende Werte der EU. Die Verfahren bleiben jedoch wirkungslos, da für den als Strafe vorgesehenen Entzug des Stimmrechts Einstimmigkeit unter den 27 Regierungen nötig ist - und Polen und Ungarn sich gegenseitig schützen.