Bolivien: Gefängnisstrafe für Ex-Übergangspräsidentin Jeanine Áñez
DW
Für die einen war es ein Staatsstreich, für die anderen lediglich eine Interimsherrschaft nach der Flucht von Präsident Evo Morales. Jetzt das Gerichtsurteil: Zehn Jahre Haft für Boliviens Ex-Übergangspräsidentin Áñez.
Die ehemalige bolivianische Übergangspräsidentin Jeanine Áñez müsse die zehnjährige Haftstrafe wegen verfassungswidriger Entscheidungen und Pflichtverletzungen, als sie im November 2019 die Interimspräsidentschaft übernahm, im Miraflores-Gefängnis am Regierungssitz La Paz absitzen, sagte der Richter bei der Verlesung des Urteils.
"Mir wurde alles verweigert, und ich wurde schlechter behandelt als jeder andere, aber ich war, bin und werde die verfassungsmäßige Präsidentin sein, die ihre Aufgabe übernahm, nachdem der Feigling geflohen war", hatte die 54-jährige Áñez zuvor auf Twitter geschrieben.
Áñez wurde Übergangspräsidentin, nachdem der linke Staatschef Evo Morales nach der Wahl im Oktober 2019 auf Druck des Militärs zurückgetreten war. Ihm wurde Wahlbetrug vorgeworfen. Morales weist Anschuldigungen, er habe die Abstimmung manipuliert - wie damals auch die Organisation Amerikanischer Staaten konstatierte - zurück und spricht von einem Putschversuch gegen ihn. Auch eine später erstellte Studie des renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den USA konnte den Vorwurf des Wahlbetrugs nicht erhärten.
Morales setzte sich ins Ausland ab, seine Anhänger sprachen von einem Putsch. Bei Protesten infolge der politischen Turbulenzen starben 35 Menschen.
Als der Kandidat der Linkspartei MAS, Luis Arce, eine mehrfach verschobene Präsidentenwahl im Oktober 2020 gewann, konnte Morales heimkehren. Eine ehemalige MAS-Abgeordnete zog gegen den "Staatsstreich" vor Gericht. Die erzkonservative Áñez und frühere Minister ihrer Interimsregierung wurden im März 2021 festgenommen und in U-Haft genommen. Áñez warf der MAS wegen ihrer Festnahme politische Verfolgung vor.