Bei der Urteilsverkündung zerpflückt die Richterin den Staatsanwalt
Die Welt
Im Sekten-Prozess von Hanau sprach das Gericht die angeklagte Mutter vom Vorwurf frei, ihren eigenen Sohn ermordet zu haben. Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft entbehrten jeder Grundlage, sagte die Richterin – und erklärte dem Juristen seinen Beruf.
Erleichtert, als wäre ihr eine zentnerschwere Last abgenommen worden, ließ Anwältin Wiebke Otto-Hanschmann die Schultern sinken und blickte kurz lächelnd zu Boden. „Die Angeklagte wird freigesprochen“, sagte die Richterin Susanne Wetzel Sekunden vorher, und die Verteidigerin hatte ihr Ziel erreicht: Die Mandantin Dr. Claudia H. ist frei. Die Beweise für einen Mord an ihrem 4-jährigen Sohn seien nicht ausreichend gewesen. Nach der Verhandlung im Landgericht Hanau wird Otto-Hanschmann sagen, dass sie „so etwas noch nie erlebt hat“. Geklärt ist nach diesem Freispruch immer noch nicht genau, wie und warum der kleine Jan 1988 ums Leben gekommen ist – und wer ihn getötet hat.
Die Tat liegt 34 Jahre zurück. Der Junge wuchs in einer Sekten-Kommune in Hanau auf, in der die Pastorengattin Sylvia D. das Sagen hatte. Sie behauptete, eine Nachfolgerin von Jesus zu sein und mit Gott kommunizieren zu können. Was bei den meisten Menschen Stirnrunzeln oder Besorgnis auslösen wurde, faszinierte einige wenige so sehr, dass sie sich ihr unterordneten – darunter auch die promovierte Biologin Claudia H., heute 61 Jahre alt.