
Auf links gedreht
Frankfurter Rundschau
Stürmer Max Kruse kommt, Stürmer Wout Weghorst geht: Warum der stark ins Trudeln geratene VfL Wolfsburg seine Transferphilosophie verwirft.
Es ist schon ein bisschen her, dass Florian Kohfeldt ausführlich darüber sprach, wie er es denn als eher unerfahrener Bundesliga-Trainer in Bremen geschafft habe, einen ausgebufften Profi wie Max Kruse auf seine Seite zu ziehen. „Ich muss mich fragen, wo lasse ich die Linien etwas weicher werden, für jemanden, der besondere Leistungen bringt“, verriet er mal bei einer Podiumsdiskussion an der Uni Bremen. Zur langen Leine gehörte damals beim SV Werder, dass ein Fußballlehrer mit Masterstudium in Sport- und Gesundheitswissenschaften seinem unangepassten Ausnahmekönner beispielsweise den Nutella-Konsum in der Kabine erlaubte. Der legere Umgang mit der kalorienreichen Verköstigung hat letztlich niemand geschadet: Kohfeldt brachte es 2018 zum DFB-Trainer des Jahres, Werder Bremen schnupperte im Jahr darauf am Europapokal und Kruse klopfte fast wieder ans Tor zur A-Nationalmannschaft.
Es ist die vielleicht kurioseste Kehrtwendung auf dem Winter-Transfermarkt, dass sich der 33-Jährige ein zweites Mal dem kriselnden VfL Wolfsburg anschließt, wo eben jener Kohfeldt arbeitet, der ohne einen Sieg im nächsten Bundesligaspiel gegen Greuther Fürth (Samstag 15.30 Uhr) als Coach kaum zu halten sein dürfte. Fünf Millionen Euro Ablöse und ein sehr fettes Jahresgehalt bis Sommer 2023 kostet der nicht mehr völlig austrainierte Offensivallrounder, der im Zentrum einer gewaltigen Rochade am Mittellandkanal steht.
Am letzten Tag der Transferperiode verschickte der Werksverein fast stündlich die Vollzugsmeldungen: Erst die Verpflichtung von Jonas Wind, 22, zwölffacher dänischer Nationalstürmer, der für angeblich zwölf Millionen Euro vom FC Kopenhagen kommt. Dann der Weggang von Wout Weghorst, 29, niederländischer EM-Teilnehmer und mit 59 Toren in 118 Bundesligaspielen immerhin zweitbester Torschütze der VfL-Geschichte, der für rund 14 Millionen zum Premier-League-Schlusslicht FC Burnley wechselt.
Fast wirkte es so, als würde der VfL an zwei Tagen die Versäumnissen von zwei Transferperioden aufholen wollen. Die Verantwortlichen waren so mit den Kaderkorrekturen beschäftigt, dass nicht einmal mehr eine Pressekonferenz in den Zeitplan passte. Zuvor waren bereits Josuha Guilavogui (31 Jahre, Girondins Bordeaux), Daniel Ginczek (30, Fortuna Düsseldorf) und Admir Mehmedi (30, Antalyaspor) gegangen. Ein Perspektivtransfer wie der des erst 18-jährigen US-Talents Kevin Parades ging zuletzt fast unter. So viele Wechselspiele im Winterschlussverkauf waren mit Wolfsburger Beteiligung zuletzt nur in der Ära Felix Magath zu besichtigen.
Möglicherweise hatten Geschäftsführer Jörg Schmadtke und Sportdirektor Marcel Schäfer schon seit einiger Zeit erkannt, dass die Kabine eine Grundreinigung benötigt – mit dem eisernen Besen wird aber erst spät durchgekehrt, nachdem alle Ansagen auf taube Ohren stießen. Dass der Klub in höchster Not alles auf links dreht, ist einerseits verständlich. Andererseits hat die großzügig alimentierte VW-Tochter auch ihre gesamte Transferphilosophie über den Haufen geworfen.