Anschlag von Hanau: Polizeiwissenschaftler darf Stellungnahme nicht vortragen
Frankfurter Rundschau
Thomas Feltes übt als Sachverständiger im Untersuchungsausschuss Kritik - und wird bei seinen Ausführungen stark eingeschränkt.
Wiesbaden – Es war eine denkwürdige Sitzung des Untersuchungsausschusses zum Terroranschlag von Hanau: Schon zu Beginn sorgte ein Mitarbeiter des Justizministeriums – kein Mitglied des Ausschusses – für einen Eklat. Nachdem der Sachverständige, Polizeiwissenschaftler Thomas Feltes, am Freitag etwa kritisiert hatte, die Staatsanwaltschaft Hanau hätte Lücken in Ermittlungen nachgehen müssen, versuchte der Beamte offenbar, Einfluss zu nehmen und forderte, nicht-öffentlich weiterzumachen. Als der Ausschussvorsitzende Marius Weiß (SPD) ihm klarmachte, dass er nicht das Recht dazu hat, beantragte Jörg Michael Müller (CDU) eine Unterbrechung.
Feltes hat eine detaillierte Stellungnahme verfasst, die sich unter anderem dem teils nicht erreichbaren Notruf und dem wahrscheinlich verschlossenen Notausgang am zweiten Tatort widmet. Er durfte sie aber nicht vortragen. Weiß hatte vor der Pause erklärt, dies gehöre nicht zu den Beweisthemen, zu denen Feltes geladen war, darunter Einsatztaktik und Krisenmanagement der Polizei. Feltes widersprach entschieden und bemängelte mit deutlichen Worten, keine Einsicht in Ermittlungsakten oder Polizeiprotokolle erhalten zu haben, nur Presseerklärungen der Staatsanwaltschaft, die sich kaum mit polizeilichen Versäumnissen befassten. Offensichtlich bestehe kein Interesse an einer echten Aufarbeitung, was er bei Ausschüssen oft erlebe.
Bei dem Anschlag am 19. Februar 2020 wurden aus rassistischen Motiven neun Menschen ermordet. Dann tötete der Täter seine Mutter und sich selbst. Der Ausschuss soll klären, welche Fehler hessische Behörden gemacht haben.
Als die Befragung fortgesetzt wurde, wies Feltes auf zahlreiche Missständen hin, nicht zuletzt im Umgang mit den Hinterbliebenen: Dass sie fünf Tage lang nicht erfuhren, wo die Leichname waren, sei „weder nachvollziehbar noch entschuldbar“, sagte Feltes, der auch Jurist und Kriminologe ist. Solche Fehler hätten zu einer „zweiten Viktimisierung“ geführt, die Betroffenen seien erneut Opfer geworden. Das zu verhindern, sei aber eine ganz wesentliche Aufgabe der Polizei, und sie wäre dazu zumindest nach der ersten chaotischen Phase des Anschlags in der Lage gewesen.
Dass ein Beamter den Krankenwagen mit dem schwerverletzten Said Etris Hashemi zunächst am Losfahren gehindert haben soll, bis die Situation geklärt sei, hält Feltes für äußerst bedenklich und unter Umständen justiziabel. Das komme höchstens bei einem Verdächtigen infrage, und selbst dann sollte der Rettungsdienst das letzte Wort haben.