Anne Will (ARD): Nach „Bilanz des Schreckens“ will Bischof Missbrauchsskandal aussitzen
Frankfurter Rundschau
Anne Will diskutiert in ihrem ARD-Talk über Versäumnisse im Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche. Und über generelles Systemversagen.
Berlin - „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden“, heißt es in den Zehn Geboten. Und an die soll man sich, wenn es nach der katholischen Kirche geht, auch bitteschön halten. Schwierig wird es allerdings, wenn die Mitarbeiter:innen selbst die Regeln auf die leichte Schulter nehmen. So geschehen bei dem emeritierten Papst Benedikt XVI., dem plötzlich wieder eingefallen ist, dass er doch an einer Sitzung teilgenommen hat, bei der es um einen Priester ging, der wegen sexuellem Missbrauch von Kindern auffällig geworden ist. Aber bitte nicht böse sein, es ist doch nicht mit Absicht geschehen.
Ein Hohn gegenüber den Betroffenen. Weshalb, so Matthias Katsch bei Anne Will (ARD), Mitbegründer und Sprecher der Betroffeneninitiative „Eckiger Tisch“, nach „dieser Bilanz des Schreckens“ die wichtigste Frage auch nicht die sein sollte, wer die Kirche, sondern wer die Betroffenen rettet. Und das sind ganz sicher nicht, die Bischöfe die „dieses Desaster“ angerichtet haben. Deshalb fordert Katsch laut und klar deren Rücktritt.
Das sieht Georg Bätzing, der Bischof von Limburg und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, in der ARD bei Anne Will natürlich ganz anders. Der hält die Entscheidung von Kardinal Marx, im Amt zu bleiben, für „ganz richtig“. Sein Rücktrittangebot, das von Papst Franziskus abgelehnt wurde, nennt er ein „starkes Zeichen“ und einen Versuch, „für das Systemversagen der Kirche Verantwortung zu übernehmen, unabhängig davon, ob es persönliche Verantwortung, persönliche Schuld gegeben hat.“ Nur sonderbar, dass in der MHG-Studie zum Thema sexueller Missbrauch in der römisch-katholischen Kirche in Deutschland steht, dass es mindestens in zwei Fällen bei ebendiesem Kardinal Marx zu persönlichem Führungsversagen gekommen ist.
Das findet auch Moderatorin Anne Will und fragt Bischof Bätzing, wie Marx denn nun gedenke, Verantwortung zu übernehmen. Indem er schön innerhalb des maroden Systems auf seinem fetten Posten sitzen bleibt und von da aus, wie Bätzing predigt, den Systemwandel „gestaltet“. Eine weitere Ohrfeige für die Betroffenen. Denen bringt es auch nichts, wenn der ehemalige Papst Benedikt, so wie Bätzing es sich wünscht, offen sagt, dass er Schuld auf sich geladen hat.
Die SPD-Politikerin und Juristin Ingrid Matthäus-Meier sieht das zum Glück ganz genauso. Statt „Betroffenheitsrhetorik“ will sie wissen, was in den nächsten Wochen konkret geschieht: Werden die Fälle der Staatsanwalt übergeben? Wann werden die Archive geöffnet, damit keine Akten vernichtet werden können? Und was ist eigentlich mit der finanziellen Entschädigung für die Betroffenen?