
Annalena Baerbocks Dilemma in Washington
Die Welt
Ihre erste USA-Reise tritt die Außenministerin unter erschwerten Bedingungen an: In puncto Russland fühlen sich die Europäer von Washington übergangen. Dort wiederum erkennt man unterschiedliche Herangehensweisen der deutschen Spitzenpolitik. Eine Herausforderung für die neue Chefdiplomatin.
Es war ein Krisenbesuch statt eines Antrittsbesuches, gekennzeichnet von Eile. Nur etwa acht Stunden sollte Baerbock laut Zeitplan in Washington verbringen. So zeigte die Ministerin schnell Präsenz in einer Zeit, in der manche Beobachter finden, die Europäer spielten in der Konfrontation mit Russland nur eine Statistenrolle, während Washington und Moskau das Schicksal des alten Kontinents unter sich abmachen wie in Zeiten des Kalten Krieges. Es ist ein Eindruck, der geeignet ist, Europäer und Amerikaner zu spalten – und genau das versucht Russland offenbar. Darum war es offenkundig Baerbocks Ziel, dem Eindruck von Uneinigkeit entgegenzutreten. Das ist eine Routine-Übung für Politiker, aber interessant wurde sie in diesem Fall, weil es dabei auch um die außenpolitische Einigkeit der noch jungen Ampelkoalition geht.
Als Baerbock und ihr amerikanischer Amtskollege Antony Blinken nach dem Gespräch vor die Presse treten, wirken sie besonders gut abgestimmt. Das ist auch kein Wunder, hat ihre Begegnung doch offenbar fast eine Dreiviertelstunde länger gedauert als ursprünglich geplant. In ihren Statements betonen beide fast wortgleich die immer gleichen Punkte zur Krise an der ukrainisch-russischen Grenze: Moskau müsse einen Preis zahlen, wenn es eskaliert; eine Verletzung der ukrainischen Souveränität würde ernstzunehmende Konsequenzen für Russland nach sich ziehen; man hoffe dennoch auf den Dialog mit Moskau, weil das Problem nur diplomatisch gelöst werden könne. Und Blinken geht noch etwas weiter, um Deutschen und Europäern das Gefühl von Wichtigkeit zu geben. „Ich danke Deutschland sehr für seine Bemühungen im Normandie-Format“, sagt der US-Außenminister. Washington helfe gerne dabei, die Fortsetzung dieser Bemühungen zu unterstützen.