Anderer Lebensstil oder umstrittene Technik?
Frankfurter Rundschau
Helmholtz-Forschende legen eine „Vision“ für ein klimaneutrales Deutschland im Jahr 2050 vor.
München wird ein Klima haben wie heute Mailand, Berlin nähert sich den Verhältnissen von Toulouse an. Deutschlandweit nehmen die Hitzetage im Sommer zu. Es wird mehr Starkregenereignisse geben und zugleich wird die Trockenheit zunehmen. Das hat weitreichende Auswirkungen auf das Leben und Wirtschaften. Insgesamt wird das Leben in Deutschland in den nächsten Jahren ungemütlicher, so schildern es die Journalisten Toralf Staud und Nick Reimer in ihrem Buch „Deutschland 2050“. Sie haben mit zahlreichen Fachleuten darüber gesprochen, was sich ändert, wenn die Durchschnittstemperaturen etwa zwei Grad höher sind als in vorindustrieller Zeit. Die beiden Journalisten beschreiben, wie wir 2050 leben, arbeiten, essen, wirtschaften und Urlaub machen werden. Eine insgesamt erschreckende Aussicht auf die Zukunft.
Einen anderen Weg haben Forschende der Helmholtz-Klima-Initiative gewählt. Sie haben eine Vision entwickelt, wie Deutschland Mitte des Jahrhunderts aussieht, wenn wir CO2-neutral leben. Dabei sind sie davon ausgegangen, dass die Bundesrepublik 2050 zumindest bilanziell kein CO2 mehr ausstößt – weiterhin entstehende Emissionen müssen ausgeglichen werden. Unter Rückgriff auf Energiesystemmodelle und andere Analysen haben die Forschenden die Entwicklungen in den nächsten 28 Jahren zusammengefasst. Die Studie haben sie im Fachmagazin Earth’s Future veröffentlicht.
Um in weniger als drei Jahrzehnten klimaneutral zu werden, muss Deutschland drei Strategien verfolgen. Zunächst müssen die erneuerbaren Energien massiv ausgebaut werden. In den nächsten Jahren müssen jährlich Solar- und Windkraftanlagen mit einer Kapazität von jeweils 10 000 Megawatt neu installiert werden. Das ist weit mehr als in den bisherigen Boomjahren erneuerbarer Energien. Damit könnte das Energiesystem 2050 fast CO2-frei werden und sich dann hauptsächlich auf Energie aus Wind, Sonne, Wasser, nachhaltiger Biomasse und Erdwärme stützen.
Kurzfristige Schwankungen im Stromsystem sollen Lithium-Ionen-Batterien und Pumpspeicher ausgleichen, für die langfristige Speicherung sollen vor allem synthetisches Methan und Wasserstoff verwendet werden. Diese Gase sollen in Kavernen in Nord- und Mitteldeutschland gebunkert werden.
Weil die Stromerzeugungskapazitäten regional verteilt sind, braucht es laut der Studie zudem einen massiven Ausbau der Stromnetze. Auch die Gebäude werden 2050 größtenteils elektrisch beheizt. Ein Viertel der Wärme wird über Wärmenetze bereitgestellt. Teils wird die Wärme aus Sonne, Geothermie oder Biomasse direkt genutzt, teils wird auf unterirdische Wärmespeicher zurückgegriffen. Tiefengeothermie und Biomasse werden zu wichtigen Säulen der Wärmeversorgung, aber auch Wärmepumpen kommen zum Einsatz. Wegen umfangreicher Maßnahmen bei der Gebäudedämmung ist der Energiebedarf der Gebäude ungleich niedriger als heute.