
Am Rand der Abgrunds
Frankfurter Rundschau
Drohen, fordern, drohen – Moskau nutzt geschickt die Angst im Westen und hält den Konflikt am Köcheln.
Zuerst schlugen angesehene US-Medien Alarm, etwa Bloomberg und die „New York Times“: Russlands Truppen marschierten an der Grenze zur Ukraine auf, Krieg drohe. Kiew selbst dementierte zunächst.
Tatsächlich bewegten sich Ende Oktober Truppen in Russlands westliche Regionen. Ein Satellitenfoto, das das Portal Politico am 1. November veröffentlichte, zeigte im Gebiet Smolensk parkende Panzer – noch 250 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt. Und im russischsprachigen Internet wird eifrig gestritten, ob zuerst das Huhn oder das Ei, der Aufmarsch oder der Kriegsalarm, da waren.
„Im Kreml wunderte man sich über die Anschuldigungen, etwas zu planen, woran man im Moment noch gar nicht dachte“, schreibt der russische BBC-Kriegsreporter Ilja Barabanow auf Facebook. „Und man folgerte dort gemäß der eigenen Logik: Wenn wir nichts dergleichen planen, haben die wohl vor, gegen die ,freien Donbass-Republiken‘ loszuschlagen.“ Deshalb hätte Russland wirklich begonnen, Truppen in Grenznähe zusammenzuziehen.
Allerdings lassen Artikel in russischen Medien, in denen etwa Putin die Ukraine als „Anti-Russland“ bezeichnete, befürchten, dass der russische Aufmarsch durchaus aggressive Ziele hat.
Viele westliche Medien ihrerseits beschreien regelrecht die russische Invasion, veröffentlichen hypothetische Karten eines Umklammerungsangriffs auf Kiew, melden Truppenverstärkungen. Wobei die Gesamtzahl der russischen Streitmacht nicht wirklich wächst: Die „Washington Post“ etwa zitierte im Dezember ein Geheimdienstdokument, das 175 000 Mann zählte, der ukrainische Verteidigungsminister Oleksi Resnikow nannte unlängst nur die Zahl 112 000.