Als wäre schon Sommer und anderes mehr
Frankfurter Rundschau
Das hr-Sinfonieorchester meldet sich via Live-Stream mit einem zarten Sehnsuchts- und Antistressprogramm.
Und ehe man sichs versieht, sitzt man wieder vorm Live-Stream. Während die Konzerte in der Alten Oper Frankfurt nach und nach abgesagt werden (aber nicht alle), hat sich das hr-Sinfonieorchester erneut in seinen Heimatsaal zurückgezogen und sendet vom Dornbusch aus. Das Orchester verschlankt und ohne den geplanten Solisten Edgar Moreau, Chefdirigent Alain Altinoglu aber – dem in seiner noch kurzen Amtszeit erst wenig normaler Betrieb gegönnt war – mit dem feinen Elan, der ihm offenbar eigen ist und der sich auch aus dem virtuellen Raum überträgt.
Ein Antistress-Programm. Richard Wagners „Siegfried-Idyll“ musste einst als musikalischer Geburtstagsgruß für Cosima in ein Treppenhaus passen, so dass die Besetzung unwagnerisch knapp gehalten ist. Aus dem Sendesaal tönt aber nicht die Spur von Ständchen-Atmosphäre, Altinoglu und das Orchester gestalten gerade das Lichte und Leise daran mit der atemberaubenden Sorgfalt, die einem Rundfunk-Klangkörper ansteht.
Zart geht es weiter, mit der „Sinfonietta“ von Francis Poulenc und – zeitlich wieder näher bei Wagner – Peter Tschaikowskys „Streicherserenade“. Die Sinfonietta ist nicht nur klein, sondern auch überempfindlich fein, Altinoglu lässt die Tänzchen wunderbar herausarbeiten und fügt sie in einen sehnsüchtigen Melodienstrom. Kaum zu glauben (oder erst recht logisch), dass bereits der Zweite Weltkrieg vorbei war, als Poulenc von der BBC den schönen Auftrag erhielt und typisch spielerisch ausführte. Das Orchester wogt sanft mit wie eine Sommerbrise und erweist seine Größe gerade im Tupfen und Schwinden.
Im 3. Satz der Tschaikowsky-„Serenade“, der „Élégie“, kommt dann auch so ein Moment, in dem Altinoglu die Arme sinken lässt, als werde nun die große Ruhe einkehren. Aber natürlich läuft es weiter wie am Schnürchen, sobald der Dirigent den Anschubser geben möchte. Insgesamt eine sehr sympathische Interaktion.
Der Applaus fehlt nicht nur den Musikerinnen und Musikern, die still auf ihre Pulte klippeln, zu Hause fehlt er auch, wo zwei Leute halt ein Weilchen vor sich hinklatschen.