Alphabetisierungstag: Leben ohne lesen und schreiben
Frankfurter Rundschau
6,2 Millionen Menschen in Deutschland können nicht richtig lesen und schreiben. Manche kommen mit Tricks durch Schule und Beruf. Andere lernen es noch ganz spät.
Als Kind wurde ich immer als dumm hingestellt. Da habe ich die Lust verloren“, sagt Martha K. (Name von der Redaktion geändert). Martha K. hat sich 61 Jahre lang, ohne lesen und schreiben zu können, „durchgeschlagen“, wie sie sagt. Sie hat zwei Kinder, einen Hauptschulabschluss und arbeitet in einer Schule. Wenn sie irgendwo Formulare ausfüllen musste, nahm sie sie mit nach Hause und ließ sich von ihrem Mann helfen. „Manchmal sagte ich, ich habe meine Brille vergessen“, erzählt Martha K. Als drittes von acht Kindern kümmerte sich niemand darum, wie sie in der Schule zurechtkam. Ihre Mutter sei schwerkrank gewesen, habe nie Zeit gehabt und auch in der Klasse mit 30 Kindern sei es niemandem aufgefallen, dass sie gar nicht lesen und schreiben konnte. Sie habe versucht, vieles auswendig zu lernen. Wie Martha K. geht es 6,2 Millionen Menschen in Deutschland. Sie können schlecht oder gar nicht lesen und schreiben. Man bezeichnet dies als funktionalen Analphabetismus. 62 Prozent dieser Menschen sind erwerbstätig, die Hälfte hat Kinder, 50 Prozent sind älter als 45 Jahre, sagt Gudrun Freund vom Bildungswerk der hessischen Wirtschaft. Anlässlich des alljährlich am 8. September stattfindenden Alphabetisierungstags lud das Bildungswerk der Hessischen Wirtschaft in Darmstadt zu einer Infoveranstaltung ein. In Darmstadt besuchen – wie Martha K. – derzeit 38 Personen eine sogenannte Lese-Schreib-Werkstatt. Viele von ihnen haben einen Migrationshintergrund, konnten in ihren Heimatländern vielleicht keine Schule besuchen, weil sie Mädchen waren, sagt Gudrun Freund.More Related News