"Alles Alte vom Tisch fegen"
n-tv
Der Mitbegründer einer Betroffenen-Initiative hält den aktuellen "Tatort" für "das Beste, was ich im fiktionalen Fernsehen zu katholischen Missbrauchsskandalen gesehen habe." Auch, weil "Schweigen" der Versuchung widersteht, in reines Kirchen-Bashing zu verfallen.
Die Aufarbeitung des systematischen Missbrauchs von Kindern innerhalb der katholischen Kirche läuft zwar spätestens seit den Enthüllungen von Ettal 2010 auf Hochtouren (wenn auch nicht von Kirchenseite selbst), trotzdem war der "Tatort" als selbst ernannter Spiegel der bundesrepublikanischen Seele für das Thema bislang blind. Zumindest bis zum gestrigen Sonntag, als "Schweigen" den Zuschauern einen ziemlich ungemütlichen Ausklang ihres Wochenendes bescherte: Basierend auf wahren Begebenheiten und in der ebenso mächtigen wie mächtig verstörenden Kulisse des ehemaligen Klosters Mariawald in der Eifel gedreht, versucht der Film den schwierigen Balanceakt, Missstände aufzudecken, ohne sich dabei in plakativem "Kirchen-Bashing" zu verlieren.
Dass das recht gut funktioniert, zeigt schon die Wahl des Drehorts: Zerfallende Mauern, Reliquien vergangener Tage und fast vergessene Retro-Hightech in Form von Diaprojektoren und Kassettenrekordern schaffen eine ambivalente Atmosphäre irgendwo zwischen Symbolik, Geschichte und Schuld - aber auch eine Gemütlichkeit, die es so vielleicht nie gegeben hat. "Man möchte - wie Falke in einer Schlüsselszene - schreien, diese Welt entrümpeln und alles Alte vom Tisch fegen", sagt Drehbuchautor Stefan Dähnert.
Die visuelle Überforderung vermittelt ein ganz gutes Gefühl davon, wie die Hauptfiguren fühlen mögen: überwältigt von der Last des Schweigens, das über Jahrzehnte als Schutzschild für ein dunkles System fungierte. Autor Dähnert beschreibt, wie vor und während des Drehs, der auf realen Begebenheiten beruht, "immer neue unerträgliche Tatsachen" zutage traten: "Ein Polizeibeamter hatte im Haus seines verstorbenen Onkels nach dessen Geburtsurkunde gesucht für die Beerdigung - und kinderpornografisches Material gefunden. Der Priester aus dem Bistum Trier hatte Tausende Fotos und Dias in seinem Keller."