Alexander Zverev: Mit viel Gespür
Frankfurter Rundschau
Der deutsche Tennisprofi erreicht auf denkwürdige Weise bei den US Open das Viertelfinale, zwischendurch beweist er Zivilcourage. Schade, dass in Deutschland kaum einer zusieht.
Was bitte war denn da alles drin? Dass Tennismatches bei Grand-Slam-Turnieren fürs große Kino taugen, ist keine neue Erkenntnis, dennoch haben Alexander Zverev und Jannik Sinner in der Night Session von New York sich einen Achtelfinalthriller mit allen Zutaten für beste Unterhaltung geliefert. Rallyes von der Grundlinie mit höchster Präzision, Aufschläge in atemberaubender Geschwindigkeit, Stopps in kunstvoller Ausführung und immer wieder kuriose Wendungen über fünf Sätze. Erst wirkte der Südtiroler Sinner mit verkrampften Muskeln so fertig, dass er sich nicht mal mehr in Pausen hinsetzen konnte. Später war der Hamburger Zverev dermaßen von Erschöpfung gezeichnet, dass es nicht verwundert hätte, wenn er im Arthur Ashe Stadium einfach umgefallen wäre.
Die beiden zählen mit 26 beziehungsweise 22 Jahren zu den fittesten Vertretern ihrer Branche, die so viele Extraschichten schieben, dass so mancher Fußballstar seinem Trainer vermutlich einen Vogel zeigen würde. Und dann war da noch der Vorfall, dass ein Zuschauer glaubte, von der deutschen Nationalhymne die verbotene Strophe aus der Zeit der Nationalsozialisten singen zu müssen. Hut ab, dass Zverev darüber nicht hinweghörte, die schrecklichen Misstöne beim Referee meldete – und sich danach ungerührt wieder auf den Sport konzentrierte. Vielleicht seine größte Leistung in dieser Nacht. Denn diese Form der Zivilcourage war auf ausgeleuchteter Bühne vorbildhaft.
Doch damit nicht genug der großen Gesten. Bewegend, wie Zverev lange seinen Gegner umarmte, der sich als fairer Verlierer in den Katakomben verzog. Berührend, wie er beim Siegerinterview mit US-Legende Brad Gilbert verriet, was ihm dieser Sieg bedeutete. Es war der wichtigste, seit Deutschlands bester Tennisspieler bei einem epischen Kampf bei den French Open gegen den Sandplatzkönig Rafael Nadal so böse mit dem Fuß umknickte, dass allein die Erinnerung daran noch heute schmerzt.
Während der Spieler sprach, schien sein Vater in der ersten Reihe zu weinen. Vielleicht wissen nur Angehörige, welche Entbehrungen und Zweifel hinter solch einem Comeback stehen. Es ist erst einmal zweitrangig, wie sich Zverev im Viertelfinale gegen den Titelverteidiger und Topfavoriten Carlos Alcaraz schlägt: Da hat einer bei den US Open bewiesen, dass er sich auf bestem Wege zurück zu alter Stärke befindet. Und vielleicht doch irgendwann ein Grand-Slam-Turnier gewinnt.
Was allerdings höchst bedauerlich ist: Kaum jemand dürfte die Demonstration deutscher (Sport-)Tugenden gesehen haben. Denn bekanntlich hat der Sender Eurosport die Rechte verloren. Stattdessen kommentierten Matthias Stach (aus New York) und Boris Becker (aus dem Homeoffice) auf ähnlichem Weltklasseniveau, wie Zverev spielt, für den neuen Tennis-Player sportdeutschland.tv. Streaming im Nischenprogramm.